Weibliche MINT-Talentlücke: Nur 22 Prozent aller europäischen Tech-Jobs von Frauen besetzt

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Frau im Labor

Ein höherer Frauenanteil in Tech-Jobs kann eine Lösung zur Stärkung der Innovationsfähigkeit Europas sein

Denn in Europa fehlen bis 2027 zwischen 1,4 bis 3,9 Millionen Arbeitskräfte im Technologieumfeld, in Deutschland allein schon 780.000. Die steigende Nachfrage nach europäischen Talenten im Technologiebereich kann durch den heutigen, überwiegend von Männern geprägte Talentpool nicht gedeckt werden. Gelingt es den 27 EU-Mitgliedsstaaten jedoch, den Frauenanteil in Tech-Rollen von heute 22% auf bis zu 45% in 2027 zu verdoppeln - geschätzt 3,9 Millionen zusätzliche Frauen in Tech-Rollen - könnte Europas BIP um 260 bis 600 Milliarden EUR steigen.

Dies geht aus einer Studie von McKinsey & Company mit dem Titel »Women in tech: The best bet to solve Europe's talent shortage« hervor.

»Der Mangel an Geschlechterdiversität in Europas Technologielandschaft führt zu erheblichen Nachteilen für Beschäftigte, Innovation und die gesamte europäische Gesellschaft«, sagt Sven Blumberg, Senior Partner im Düsseldorfer Büro von McKinsey & Company und einer der Studienautoren.

Etwas positiver sieht das Bild in Technologieunternehmen aus. Doch mit einem Frauenanteil von 37% ist die Geschlechterdiversität auch in der europäischen Tech-Branche hinweg deutlich zu gering. Zumal sich der Frauenanteil hier über alle Unternehmensrollen erstreckt.

Das Problem könnte sich zukünftig weiter verschärfen. Seit 2016 stagniert die Zahl der MINT-Absolventinnen. So lag etwa der Anteil der Bachelor-Absolventinnen in MINT-Fächern in 2016 bei 33% und ist bis 2020 auf 32% gesunken. Zudem finden sich in Berufen oder Bereichen mit klarem Technologieprofil (z.B. Cloud oder DevOps), schnellem Wachstum und einem hohen Bedarf an Technologietalenten die wenigsten Frauen. Ohne Gegenmaßnahmen droht der Anteil von Frauen in den Technologiesegmenten in Europa bis 2027 auf 21% zu sinken.

Um zu ermitteln, an welchen Stellen Frauen aus dem Tech-Talentpool fallen, hat die Studie sowohl den Bildungsbereich – schulische wie universitäre Ausbildung – als auch die Erwerbsbevölkerung in der EU untersucht. Hierfür wurden Daten aus zwei Hauptquellen herangezogen: Einer Analyse von Daten zur schulischen und akademischen Bildung der EU-27-Mitgliedstaaten sowie einem Datensatz von Eightfold.AI, einer KI-Plattform für Talententwicklung. Letzterer umfasst mehr als 60 Millionen anonymisierte europäische Mitarbeiterprofile und mehr als eine Millionen Technologieprofile.

Schulische und universitäre Ausbildung als erste Gatekeeper für Mädchen und Frauen

»Während der Grund- und Sekundarschulbildung gibt es keine Hinweise darauf, dass Jungen besser in Mathe oder Informatik sind als ihre Klassenkamerdinnen«, sagt Melanie Krawina, Beraterin aus dem Wiener McKinsey-Büro und eine der Studienautorinnen. Trotz Parität nach der Schulausbildung zeigt sich ein erster dramatischer Absturz (-18 Prozentpunkte) bei Frauen, die sich für eine universitäre MINT-Disziplin (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) einschreiben. Der Rückgang ist mit -31 Prozentpunkten sogar noch signifikanter bei jungen Frauen, die ihre akademische Ausbildung in einer IKT-Disziplinen (Informations- und Kommunikationstechnik) absolvieren. Dieser Rückgang hat das Potenzial, einen sich selbst erfüllenden Abwärtszyklus zu erschaffen. Da nur 19% der IKT-Bachelor-Student:innen Frauen sind, sind sie unter dem Gros männlicher Mitstudenten isolierter und fallen eher durchs Raster, bevor sie ihr Studium erfolgreich abschließen können.

Allerdings zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen den EU-Mitgliedsstaaten: Während die nord- und osteuropäischen Länder fast eine Geschlechterparität im MINT-Bereich erreichen, hinken die süd- und mitteleuropäischen Länder hinterher. So liegt Deutschland mit einem Frauenanteil von 22% bei Bachelor-Abschlüssen in MINT-Fächern deutlich unter dem EU-Schnitt (32%). Die vorderen Plätze belegen Griechenland (41%), Schweden (41%), Estland (40%) und Polen (40%).

Gründe für die ungleiche Entwicklung liegen vor allem in Stereotypen und falscher gesellschaftlicher Wahrnehmung der MINT-Fähigkeiten von Mädchen gegenüber Jungen. »Mädchen werden häufig geringere MINT-Fähigkeiten zugesprochen als Jungen. Gepaart mit dem Einfuss allgemeiner Stereotypen und dem Mangel an weiblichen Vorbildern führen diese Vorurteile zu mehr Erwartungsdruck bei gleichzeitig geringerer Unterstützung von Mädchen und Frauen durch Lehrer:innen, Kommiliton:innen oder Eltern«, so Melanie Krawina.

Einstieg ins Berufsleben senkt den Frauenanteil in Tech-Profilen noch einmal deutlich

Der zweite Drop-off-Punkt offenbart sich nach der universitären Ausbildung. Die Analysen der Studienautor:innen zeigen, dass nur 23% der MINT-Absolventinnen beim Einstieg ins Berufsleben eine Tech-Rolle übernehmen. Bei Männern ist der Wert mit 44% nahezu doppelt so hoch. Ein Blick in die einzelnen Profile zeigt die ungleiche Verteilung detaillierter: Im Bereich Produktmanagement und UX/UI-Design liegt der Frauenanteil bei 46%. Jobprofile mit engem Datenbezug, wie Data Engineering, -Science oder -Analytics, verfügen über eine Frauenquote von 30%. In Tätigkeitsfeldern mit dem am schnellsten wachsenen Bedarf sind Frauen nur wenig vertreten. Dies gilt mit 8% Prozent Frauenanteil etwa für die Bereiche DevOps und Cloud.

Etwas positiver sieht das Bild innerhalb reiner Technologieunternehmen aus: Hier liegt der Frauenanteil über alle Beschäftigtungsgruppen hinweg bei etwa 37% . Unternehmen der sozialen Netzwerke sind Spitzenreiter mit einem 50-prozentigen Frauenanteil an der Gesamtbelegschaft. Das allgemeine Muster bleibt jedoch unverändert: Auch in reinen Tech-Unternehmen ist nur jede vierte Tech-Rolle von einer Frau besetzt.

Vier Maßnahmen für mehr Diversität in Europas Tech-Berufen

»Frauen können helfen, die Talent-Herausforderung in Europa zu bewältigen. Die Frage ist, ob die europäischen Unternehmen ihre weibliche Tech-Talentlücke füllen können. Die einzige Option für europäische Tech-Unternehmen besteht in der Diversifizierung ihres Talentpools. Das bedeutet: Mehr in Talente investieren, die bislang zu wenig berücksichtigt wurden. Nur mit mehr Diversität in Europas Tech-Jobs können wir unseren Wettbewerbsvorteil stärken", sagt Henning Soller, Partner aus dem Frankfurter McKinsey-Büro und einer der Studienautoren.

Auch wenn es keine schnelle Lösung gibt, um die Geschlechterdiversität in MINT-Fächern und Tech-Berufen zu erhöhen, haben die Studienautor:innen vier Handlungsfelder identifiziert, die das Ungleichgewicht deutlich reduzieren könnten. Konkrete Maßnahmenvorschläge finden sich im Studientext. Folgend ein erster Einblick:

1. Reframen – Frauen im Technologiebereich ermöglichen, am Arbeitsplatz erfolgreich zu sein
Unternehmen können die Anzahl der Frauen in Technologiepositionen um 480.000 auf 1 Millionen erhöhen, indem männliche Führungskräfte eine Kultur der Unterstützung schaffen, damit Frauen in der heutigen digitalen Belegschaft erfolgreich sein können. Diese Maßnahmen inkludieren effektives Sponsoring, den gezielten Abbau von Vorurteilen sowie kognitiven Verzerrungen, flexible Arbeitsmodelle und Kinderbetreuung.

2. Binden – Frauen einen Grund geben, in Tech-Rollen zu bleiben
Mehr als die Hälfte der Frauen im Technologiebereich verlassen die Branche bis zur Mitte ihrer Karriere. Das sind mehr als doppelt so viele wie Männer. Dieses Ungleichgewicht führt dazu, dass viel weniger Frauen Führungspositionen erreichen. Durch die Lösung dieses Problems können europäische Unternehmen die Zahl der Frauen im Technologiebereich um 370.000 auf 440.000 erhöhen. Ein Teil der Lösung könnte laut Studienautor:innen etwa sein: Die Bindung weiblicher Talente als einen wichtigen Leistungsindikator für die Bewertung von Führungskräften einführen.

3. Umschichten – Mehr Talente aus nicht-traditionellen Talentpools entwickeln
Unternehmen können die Anzahl von Frauen in Technologiepositionen bis 2027 um 530.000 auf 1,8 Millionen erhöhen, indem sie aus bislang unerschlossenen, aber artverwandten Talentpools rekrutieren, diese ausbilden und ihre technologischen Fähigkeiten weiterentwickeln. Vor allem große Tech-Unternehmen sind Vorreiter dieser Strategie. Dies gilt sowohl für Frauen mit als auch ohne MINT-Background.

4.Intensivieren – Abbruchrate von MINT-Studiengängen verringern
Soll ein signifikanter Wandel gelingen, muss die die Zahl erfolgreicher MINT-Studienabschlüsse von Frauen erhöht werden. Mehr und bessere Praktika, Mentoring und Coaching von Frauen bei der Vorbereitung auf den Eintritt in den Arbeitsmarkt und die aktive Rekrutierung von Frauen für die Arbeit an innovativen Projekten in Führungspositionen können zu erheblichen Verbesserungen führen. Programme wie diese könnten dazu beitragen, die Zahl der Frauen im Technologiebereich von 225.000 auf 695.000 zu erhöhen. Parallel dazu müssen die früheren Abbrüche in der Grund- und Sekundarschulbildung ebenfalls angegangen werden.


  VERWEISE  

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