
Hochschulsystem im Umbruch - Arbeiten und Studieren: Das neue Normal
Die Vorstellung vom klassischen Vollzeitstudierenden verliert rasant an Bedeutung. Eine neue CHE-Analyse mit dem Titel »CHECK – FLEXIBEL STUDIEREN 2025« zeigt, wie weit sich der Studienalltag von traditionellen Bildern entfernt hat.
Die Auswertung macht deutlich, dass Arbeit, Familie und Weiterbildung längst zentrale Elemente moderner Bildungsbiografien geworden sind.
Arbeiten wird zur Regel, nicht zur Ausnahme
Die Untersuchung belegt, dass Erwerbsarbeit für die Mehrheit der Studierenden zum Alltag gehört. Rund 63 Prozent aller Immatrikulierten verdienen Geld neben dem Studium. Selbst im Präsenzstudium liegt der Anteil bei 64,2 Prozent. In berufsbegleitenden Formaten steigt er sogar auf 85,7 Prozent.
Besonders auffällig ist, dass Studierende flexibler Studiengänge überwiegend in ihrem erlernten Beruf bleiben. Teilzeitjobs im Service treten damit in den Hintergrund. Diese Entwicklung zeigt: Die akademische Ausbildung muss sich stärker an beruflichen Lebensrealitäten orientieren.
Regelstudienzeiten verlieren ihre Bedeutung
Die Idee, ein Bachelorstudium in sechs Semestern abzuschließen, erweist sich zunehmend als Illusion. Die mittlere Studiendauer liegt an Universitäten bei 8,1 Semestern, an Fachhochschulen bei 7,6 Semestern. Nur knapp 30 Prozent der Erstsemester des Jahres 2019 erreichten den Abschluss innerhalb der durchschnittlichen Regelstudienzeit plus zwei Toleranzsemestern.
Auffällig ist zudem eine deutliche Geschlechterdifferenz: Der Anteil der Absolventinnen lag bei 36 Prozent, während männliche Studierende nur auf 25 Prozent kamen. Die Abweichung von den Vorgaben erklärt sich vor allem durch berufliche Verpflichtungen und familiäre Aufgaben.
Die Studierendenschaft wird vielfältiger
Das traditionelle Bild vom jugendlichen Abiturienten, der direkt ins Studium startet, gehört der Vergangenheit an. Ein Viertel aller Studierenden hat bereits eine Berufsausbildung abgeschlossen. 42 Prozent sind Erstakademiker*innen, 7,8 Prozent leben mit Kindern, und 11,9 Prozent übernehmen Pflegeaufgaben. Altersunterschiede prägen die Hochschullandschaft zusätzlich: Präsenzstudierende sind durchschnittlich 24,9 Jahre alt, Teilnehmende im Fernstudium 30,2 Jahre und berufsbegleitend Studierende 33,1 Jahre.
Hochschulen stehen damit vor der Aufgabe, Angebote zu entwickeln, die unterschiedliche Lebensphasen und Bedürfnisse berücksichtigen.
Private Hochschulen bieten mehr Flexibilität – und höhere Kosten
Flexible Studienmodelle finden sich besonders häufig an privaten Hochschulen. Während staatliche Einrichtungen zu 93,1 Prozent am Vollzeitmodell festhalten, ermöglichen private Anbieter zu 45,8 Prozent berufsbegleitende und zu 40,7 Prozent Fernstudiengänge.
Diese Vielfalt hat jedoch ihren Preis: Weiterbildende Bachelorprogramme kosten an privaten Hochschulen durchschnittlich 17.707 Euro, an staatlichen dagegen 11.101 Euro. Einige weiterbildende Masterprogramme erreichen sogar bis zu 88.000 Euro. Gleichzeitig zeigen einzelne Varianten, etwa Microcredentials oder kirchliche Träger, moderatere Preisniveaus.
Microcredentials setzen neue Standards
Der Trend in der akademischen Weiterbildung verschiebt sich deutlich zu kurzen, zertifizierten Lernformaten. »Microcredentials« machen 37,4 Prozent aller Angebote aus und dominieren damit die Landschaft. Sie umfassen einzelne Hochschulmodule, die ECTS-Punkte vergeben und später in vollständige Studiengänge einfließen können.
Weiterbildungsstudiengänge spielen mit 34,6 Prozent eine geringere Rolle. Die Kosten verdeutlichen die Attraktivität der kürzeren Formate: Im Durchschnitt liegen sie bei 1.931 Euro und damit deutlich unter vollständigen Programmen mit mehr als 14.000 Euro. Die Hochschulen reagieren damit auf den Bedarf nach punktuellen, flexiblen und arbeitsmarktnahen Lernangeboten.
Resümee: Ein Bildungsmodell für reale Lebenswelten
Die Analyse zeigt, dass sich das deutsche Hochschulsystem immer stärker an der Lebenswirklichkeit orientiert. Flexibilität, Modularisierung und Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Studium prägen die Entwicklung. Private Hochschulen und der Weiterbildungsmarkt treiben diesen Wandel voran.
Entscheidend wird sein, ob es gelingt, flexible Angebote breiter zugänglich zu machen. Andernfalls droht eine neue soziale Spaltung zwischen jenen, die sich Bildung leisten können, und jenen, die außen vor bleiben.
Hintergrund
Der CHECK »Flexibel Studieren 2025« liefert einen umfassenden aktuellen Überblick zum Stand flexibler Studien- und Weiterbildungsangebote an deutschen Hochschulen. Er basiert auf einer Auswertung von insgesamt rund 22.300 Studiengängen, die im HRK-Hochschulkompass gelistet sind, sowie 3.587 Angeboten der hochschulischen Weiterbildung aus dem Portal hoch & weit der HRK. Die Daten wurden im Juni und Juli 2025 erhoben und umfassen Studienangebote aller Hochschultypen und Trägerschaften in Deutschland. Autorinnen der Publikation sind Sigrun Nickel und Anna-Lena Thiele.
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