Die Schuldenbremse - ein historischer Unfall

Innocracy 23

Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Schuldenbremse sprachen sich im Rahmen der Demokratiekonferenz Innocracy23 am 17. November 2023 in Berlin mehrere Expert*innen für eine ernsthafte Reformdebatte über die Schuldenbremse aus. Dies sei in Hinblick auf die Ermöglichung dringend notwendiger klimapolitischer Maßnahmen unerlässlich. Finanzexpertin Philippa Sigl-Glöckner bezeichnete die Schuldenbremse als »historischen Unfall«.

Im Rahmen des Panels »Schuldenbremse = Klimaschutzbremse? Zum Für und Wider rechtlicher Selbstbindung in der parlamentarischen Demokratie« wies Alexander Thiele, Verfassungsrechtler und Prozessbevollmächtigter der Bundesregierung im Verfahren zur Schuldenbremse, darauf hin, dass den meisten die Auswirkungen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts noch gar nicht klar seien: »Das Urteil betrifft nicht nur die 60 Milliarden im Klima- und Transformationsfonds, sondern möglicherweise jede überjährige, kreditfinanzierte Investition, also auch Wirtschaftsstabilisierungsfond und Sondervermögen auf Landesebene.«

Moderiert von Lenz Jacobsen (Zeit Online) diskutierten Thiele, Buchautor und Journalist Jonas Schaible (Der Spiegel) und die Finanzexpertin Philippa Sigl-Glöckner in Hinblick auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, inwiefern rechtliche Selbstbindung in der parlamentarischen Demokratie sinnvoll ist.

Zur Frage, ob es analog zur Schuldenbremse auch eine verfassungsrechtlich festgeschriebene Emmissionsbremse brauche, sagte Schaible: »Wir können uns nicht immer wieder neu fragen, ob wir Klimaschutz betreiben wollen oder nicht. Es ist zu schwierig, sich immer wieder neu zu einigen.« Die Idee, eine Verpflichtung zu mehr Klimaschutz in die Verfassung aufzunehmen, sei darum charmant.

Thiele hielt dagegen: Recht könne unglaublich gut verhindern, aber unglaublich schlecht animieren, politisch tätig zu werden. Entscheidend für Klimaschutz sei am Ende der politische Wille – und zwar unabhängig vom Bestehen einer Schuldenbremse. Seit ihrer Einführung habe die Schuldenbremse vor allem als Begründungsentlastung für all diejenigen gewirkt, die Klimaschutzmaßnahmen verhindern wollen.

Sigl-Glöckner ist überzeugt: »Die Schuldenbremse war ein historischer Unfall.« Ohne die Krise 2009 hätte die Regelung aus ihrer Sicht keinen Eingang in die Verfassung gefunden. Sie hofft jetzt vor allem auf eine ernsthafte Reformdebatte – diese Chance liege im Urteil des Bundesverfassungsgerichtes. Eine Abschaffungsdebatte hingegen sei völlig sinnlos.

Hintergrund
Im Rahmen der Innocracy23 kamen am 17. November 2023 im Amplifier in Berlin 200 Akteur*innen aus Politik, Wissenschaft, Medien und Zivilgesellschaft zusammen, um entlang von vier Spannungsfeldern, die zwischen Demokratie und Klimakrise wirken – Geschwindigkeit, Gesellschaft, Gebiet und Generation –, über Rolle und Gestaltung der Demokratiepolitik in der Klimakrise zu diskutieren.

Die Innocracy ist die große Demokratiekonferenz, im Rahmen derer seit 2017 regelmäßig die demokratie- und klimapolitische Szene zusammenkommt, um sich über demokratiepolitische Fragen auszutauschen, politisch zu streiten und neue Ideen zu entwickeln. Die Innocracy23 – die diesjährige und sechste Ausgabe der Veranstaltung – widmete sich der größten Krise unserer Zeit: der Klimakrise. Sie stand unter der Fragestellung, was die Demokratiepolitik zum Gelingen der gerechten Transformation beitragen kann. Gerade in Krisenzeiten ist gute Demokratiepolitik – von Verfassung bis Bürgerrat, von Wahlrecht bis
Engagementförderung – gefragt, um gesellschaftliche Spannungen fair zu moderieren und daraus legitime Entscheidungen abzuleiten.

Ausgerichtet wird die Innocracy seit 2017 von dem Berliner Think-Tank Das Progressive Zentrum.


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