
Ein komplexes Lagebild im Überblick
Deutschland sieht sich mit einer widersprüchlichen MINT-Realität konfrontiert. Der aktuelle MINT-Herbstreport 2025 zeigt, dass der viel beschworene Fachkräftemangel zwar real ist, aber an ganz anderen Stellen entsteht als oft angenommen. Während internationale Talente in großer Zahl anziehen, verliert das Land gleichzeitig im eigenen Nachwuchs an Boden.
Überraschende Trends – vom wachsenden Beitrag älterer Beschäftigter bis hin zu MINT als sozialem Aufstiegspfad – verändern die Perspektive auf Deutschlands Innovationsfähigkeit.
Die größte Lücke entsteht bei beruflich Qualifizierten
Die Gesamtlücke von 148.500 MINT-Fachkräften im Oktober 2025 trifft vor allem den mittleren Qualifikationsbereich. Fachkräfte mit Berufsausbildung fehlen mit 93.500 Personen am stärksten. Demgegenüber stehen 40.800 fehlende Akademiker und 14.200 Spezialistinnen und Spezialisten wie Techniker oder Meister.
Besonders angespannt ist die Lage in Energie- und Elektroberufen, wo 53.100 Fachkräfte fehlen. Diese Verteilung verdeutlicht, dass berufliche Bildung und Ausbildungsberufe für die technologische Zukunft Deutschlands mindestens ebenso zentral sind wie akademische Laufbahnen.
Zuwanderung als ökonomische Triebkraft
Die Analyse zeigt, dass zugewanderte Fachkräfte seit Jahren entscheidende Beiträge leisten. Ohne ihren Einsatz wäre die MINT-Lücke um 480.600 Personen größer. Besonders dynamisch entwickelt sich die Beschäftigung internationaler Akademiker: Seit 2012 stieg sie um 228,5 Prozent. Ein extremes Beispiel liefert die Zuwanderung aus Indien mit einem Wachstum von 780 Prozent.
Der Report verweist darauf, dass 153.000 MINT-Zuwandernde, die über deutsche Hochschulen kamen, im Jahr 2022 einen Wertschöpfungsbeitrag von 14,6 Milliarden Euro leisteten. Prof. Dr. Axel Plünnecke betont laut Bericht, diese Gruppe präge Innovation und Gründungen maßgeblich.
Nachwuchsschwäche trotz internationaler Attraktivität
Während Deutschland für internationale Studierende immer attraktiver wird, sinkt gleichzeitig die Zahl der deutschen MINT-Studienanfänger. Zwischen den Wintersemestern 2017/18 und 2022/23 stieg die Zahl internationaler MINT-Studierender von 131.000 auf 189.000.
Parallel schwanden jedoch die Kompetenzen deutscher Schülerinnen und Schüler laut PISA deutlich. Die Mathematikwerte fielen von 514 Punkten im Jahr 2012 auf 475 Punkte im Jahr 2022. Der Anteil besonders leistungsstarker Lernender halbierte sich von 17,5 auf 8,6 Prozent. Damit wächst die Diskrepanz zwischen internationalem Zuspruch und heimischen Kompetenzen.
Die wachsende Rolle der »Silver Generation«
Ältere Beschäftigte stabilisieren zunehmend den MINT-Arbeitsmarkt. Der Anteil der über 55-Jährigen stieg von 15,1 Prozent im Jahr 2012 auf 23 Prozent im Jahr 2025. Besonders auffällig ist die Verbleibsquote ab 63 Jahren, die von 66,7 Prozent im Jahr 2014 auf 101 Prozent kletterte. Ein Wert über 100 Prozent zeigt, dass Personen sogar neu in den Beruf einsteigen. Insgesamt entstanden so 99.400 zusätzliche MINT-Beschäftigte im höheren Alter.
Dieser Trend relativiert gängige Vorstellungen über den demografischen Wandel und eröffnet neue Perspektiven für nachhaltige Fachkräftestrategien.
MINT als Hebel für sozialen Aufstieg
MINT-Berufe ermöglichen in besonderem Maße Bildungsaufstiege. 64,7 Prozent der Ingenieurinnen und Ingenieure stammen laut Report aus Haushalten ohne akademischen Hintergrund. Bei den übrigen akademischen MINT-Berufen liegt der Anteil bei 60,7 Prozent.
Im Vergleich dazu erreichen nur 42,9 Prozent der Juristinnen und Juristen einen ähnlichen Aufstieg. MINT bietet damit nicht nur technologische Perspektiven, sondern auch außergewöhnliche Chancen für soziale Mobilität.
Ausblick: Strategische Weichen für die Zukunft
Der MINT-Report zeigt ein Land, das global Talente anzieht, gleichzeitig aber zentrale Potenziale im eigenen Bildungssystem ungenutzt lässt. Die wachsende Bedeutung internationaler Fachkräfte und älterer Beschäftigter steht im Kontrast zu rückläufigen Kompetenzen deutscher Schülerinnen und Schüler sowie einem strukturellen Engpass bei Facharbeiterinnen und Facharbeitern.
Deutschlands Zukunftsfähigkeit hängt davon ab, ob es gelingt, diese Widersprüche produktiv zu verbinden: Die internationale Stärke zu sichern und zugleich die eigene Bildungskette von der Schule bis zur beruflichen Qualifizierung grundlegend zu stärken.
Hintergrund
Der MINT-Report wird zweimal jährlich vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW Köln) erstellt. Die Studie entsteht im Auftrag folgender Mitglieder des Nationalen MINT Forums: Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), Arbeitgeberverband Gesamtmetall und MINT Zukunft schaffen.
VERWEISE
- MINT-Report 2025 Arbeitsmarktbericht ...
- MINT-Report 2025 Sonderauswertung zur Zuwanderung über die Hochschulen ...
- MINT-Report 2025 MINT-Meter (Indikatoren für einen Überblick über den MINT-Nachwuchs) ...
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