OECD: Künstliche Intelligenz in Deutschland - eine Bestandaufnahme

Überblick und Analyse
Der OECD-Bericht zur Künstlichen Intelligenz (KI) in Deutschland bietet eine umfassende Bestandsaufnahme des deutschen KI-Ökosystems, bewertet die Umsetzung der nationalen KI-Strategie und gibt Empfehlungen für zukünftige Entwicklungen.
Die Analyse basiert auf quantitativen und qualitativen Daten, internationalen Benchmarks und Interviews mit Akteuren aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Gesellschaft.
ZENTRALE ERGEBNISSE
Stärken
- Forschungsexzellenz: Deutschland nimmt international eine Spitzenposition bei KI-Publikationen und -Forschung ein. Institutionen wie die Max-Planck-Gesellschaft, die Fraunhofer-Gesellschaft und führende Universitäten sind weltweit anerkannt.
- Solide Recheninfrastruktur: Deutschland verfügt über zahlreiche Supercomputer, die insbesondere für Wissenschaft und Forschung genutzt werden und einen Wettbewerbsvorteil darstellen.
- Menschenzentrierter Ansatz: Die nationale KI-Strategie legt Wert auf ethische, gesellschaftliche und gemeinwohlorientierte KI-Entwicklung. Politische Prioritäten richten KI-Fortschritte an gesellschaftlichen Zielen aus, etwa im Gesundheitswesen oder bei ökologischer Nachhaltigkeit.
- Politische Initiativen: Deutschland ist Vorreiter bei der Entwicklung regulatorischer Experimentierräume und engagiert sich aktiv in der internationalen Standardisierung und Regulierung von KI.
Schwächen
- Langsame Verbreitung in der Wirtschaft: Trotz starker Forschung ist die Einführung von KI in der Industrie fragmentiert und verläuft langsamer als in anderen europäischen Spitzenländern.
- Fachkräftemangel: Die Nachfrage nach KI-Expert*innen übersteigt das Angebot deutlich. Der Gender Gap ist ausgeprägt, besonders in Führungspositionen.
- Innovationsmüdigkeit: In einigen Branchen fehlt das Bewusstsein für das Potenzial von KI, was die Bereitschaft zu Innovationen und Investitionen hemmt.
- Fragmentierte Governance: Es mangelt an zentraler Koordination und klaren Zuständigkeiten, insbesondere im föderalen System und zwischen Bundesministerien.
- Datenzugang und digitale Infrastruktur: Der Zugang zu offenen und industriellen Daten sowie die digitale Infrastruktur – vor allem in ländlichen Gebieten – sind unzureichend ausgebaut.
Chancen
- Katalysator KI-Hype: Das gestiegene Interesse an KI kann genutzt werden, um die Einführung in Schlüsselsektoren wie Industrie, Gesundheitswesen und öffentliche Verwaltung zu beschleunigen.
- Transformation durch gezielte Politik: Sektorspezifische Strategien und die Förderung transformativer Projekte können die Wettbewerbsfähigkeit stärken.
- Stärkere Einbindung der Zivilgesellschaft: Die Entwicklung inklusiver Beteiligungsformate bietet Potenzial für eine breitere gesellschaftliche Akzeptanz und Mitgestaltung.
- Führungsrolle bei nachhaltiger KI: Deutschland kann seine Stärken nutzen, um ökologische Nachhaltigkeit durch KI voranzutreiben.
Risiken
- Verlust der Wettbewerbsfähigkeit: Ohne rasche Einführung vertrauenswürdiger KI droht der Verlust internationaler Marktanteile.
- Vertrauensverlust: Deepfakes, Desinformation und gesellschaftliche Risiken wie Biases und Automatisierung können das Vertrauen in KI und demokratische Prozesse gefährden.
- Ungleichheiten: KI kann bestehende wirtschaftliche und soziale Ungleichheiten verstärken, wenn Vorteile ungleich verteilt werden.
- Nachhaltigkeitsbedenken: Der steigende Ressourcenbedarf für KI-Systeme erfordert Standards zur Messung und Reduzierung von Umweltwirkungen.
EMPFEHLUNGEN
- Strategische Vision und Koordination: Entwicklung einBürgerräten, regelmäßige Erhebung der öffentlichen Wahrnehmung und stärkere Einbindung zivilgesellschaftlicher Akteure.
- Verantwortungsvolle KI-Nutzung: Entwicklung von Leitlier klaren, langfristigen und integrierten Vision auf höchster politischer Ebene, unterstützt durch ein zentrales Aufsichts- und Koordinierungsgremium.
- Fokus auf Schlüsselbereiche: Priorisierung der Sektoren mit größtem KI-Potenzial und Entwicklung konkreter Roadmaps für die Integration von KI-Lösungen.
- Stärkung der Datenbasis: Verbesserung des Zugangs zu offenen und industriellen Daten, Entwicklung von Standards für Datenqualität und Förderung des Datenaustauschs.
- Förderung von Start-ups und KMU: Ausbau von Finanzierungsinstrumenten, Vereinfachung von Beschaffungsverfahren und gezielte Unterstützung beim Zugang zu Rechenressourcen.
- Ausbau der Recheninfrastruktur: Evaluation des Bedarfs und gezielte Erweiterung der KI-Infrastruktur, insbesondere für Start-ups und KMU.
- Kompetenzentwicklung: Ausbau von Ausbildungs- und Weiterbildungsangeboten, stärkere Einbindung von Frauen und unterrepräsentierten Gruppen, Förderung modularer und flexibler Lernformate.
- Gesellschaftlicher Dialog und Teilhabe: Einrichtung von nien und Standards für ethische, transparente und sichere KI-Anwendungen, insbesondere im Arbeitsumfeld.
ÜBERBLICK: KÖPFE, FORSCHUNG, TRANSFER UND INFRASTRUKTUR
Köpfe (Talente & Ausbildung)
- Erfolge: 150 zusätzliche KI-Professuren seit 2018; positive Nettozuwanderung von KI-Fachkräften.
- Handlungsbedarf: Mehr englischsprachige und kürzere KI-Studiengänge, verpflichtende Kurse zu ethischer/menschenzentrierter KI, Digitalisierung der Visaverfahren.
Forschung
- Starke Position: Deutschland weltweit auf Platz 5 bei KI-Publikationen, Spitzenplätze in Robotik, Computer Vision und Automatisierung.
- Gender Gap: Frauenanteil in der KI-Forschung und in Führungspositionen weiterhin niedrig.
- Empfehlung: Agilere Fördermechanismen, gezielte Programme zur Erhöhung der Diversität.
Transfer, Anwendungen und Recheninfrastruktur
- KI in Unternehmen: 12–15% der deutschen Unternehmen nutzen KI, mit steigender Tendenz. Große Unternehmen und wissensintensive Branchen sind Vorreiter.
- Programme für KMU: Zahlreiche Förderprogramme (z. B. KI4KMU, KI-Servicezentren, Mittelstand-Digital Zentren), aber geringe Sichtbarkeit und Fragmentierung.
- Start-ups: Zahl und Finanzierung von KI-Start-ups gestiegen, aber Wagniskapital im internationalen Vergleich gering.
- Recheninfrastruktur: Deutschland hat drittmeisten Supercomputer weltweit, Zugang für Start-ups und KMU soll erleichtert werden.
KI UND ARBEITSWELT
- Kompetenzmangel: Haupthindernis für KI-Einführung in Unternehmen.
- Weiterbildung: Bedarf an flexiblen, modularen Bildungsangeboten und gezielten Anreizen für Arbeitgeber*innen.
- Sozialer Dialog: Betriebsrätemodernisierungsgesetz stärkt Mitbestimmung, aber Herausforderungen bei Ressourcen und Expertise der Sozialpartner.
- Empfehlung: Ausbau der Kompetenzanalyse, Förderung von Bildungsangeboten zu KI, Stärkung der betrieblichen Mitbestimmung.
POLITIK- UND ORDNUNGSRAHMEN
- Nationale KI-Strategie: Frühe und umfassende Strategie, aber im internationalen Vergleich geringes Budget und fehlende zentrale Koordination.
- Regulatorische Experimentierräume: Entwicklung eines Bundes-Reallaboregesetzes, zahlreiche Initiativen für Test- und Experimentierräume.
- Normung und Standards: Engagement in der internationalen Standardisierung, Entwicklung eines »AI Trust Label« für vertrauenswürdige KI.
GESELLSCHAFT UND GEMEINWOHL
- Positive Wahrnehmung: Bevölkerung zeigt hohe Akzeptanz und Vertrauen in KI, besonders im Gesundheitswesen.
- Initiativen für Gemeinwohl: Civic Coding, Civic Innovation Platform, KI-Ideenwerkstatt für Umweltschutz und Civic Data Lab fördern gemeinwohlorientierte KI-Projekte.
- Beteiligung: Ausbau der Beteiligung zivilgesellschaftlicher Akteure und Bürger*innen an der KI-Politik empfohlen.
RESUMEE
Deutschland ist in Forschung, Infrastruktur und ethischer Ausrichtung der KI international führend, steht aber vor Herausforderungen bei der breiten wirtschaftlichen Anwendung, dem Zugang zu Daten, der Finanzierung von Start-ups und der Kompetenzentwicklung.
Der Bericht empfiehlt eine stärkere strategische Koordination, gezielte Investitionen, Ausbau der Daten- und Recheninfrastruktur sowie die Förderung von Talenten und gesellschaftlicher Teilhabe, um das volle Potenzial von KI für Wirtschaft und Gesellschaft zu erschließen.
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