Soziale Mobilität in Europa: Studie verweist auf großes ungenutztes Potenzial

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Wie Unternehmen Talente aus bildungsfernen Schichten fördern können

Die soziale Mobilität, also die Möglichkeit, durch Bildung und Arbeit in eine höhere gesellschaftliche oder wirtschaftliche Schicht aufzusteigen, ist ein entscheidender Faktor für den sozialen Zusammenhalt und die wirtschaftliche Entwicklung in Europa.

Eine neue McKinsey-Studie mit dem Titel »Breaking the standstill: How social mobility can boost Europe’s economy« zeigt jedoch, dass die soziale Mobilität in vielen europäischen Ländern ins Stocken geraten ist.

Menschen aus sozioökonomisch benachteiligten Verhältnissen (SEB) sehen sich nach wie vor mit erheblichen Hürden konfrontiert, die ihre Chancen auf beruflichen und gesellschaftlichen Aufstieg stark einschränken. Gleichzeitig bleibt ein enormes wirtschaftliches Potenzial ungenutzt, das durch gezielte Maßnahmen zur Förderung der sozialen Mobilität freigesetzt werden könnte.

Die Untersuchung beleuchtet die Herausforderungen, mit denen Menschen aus benachteiligten Verhältnissen konfrontiert sind, und analysiert die wirtschaftlichen Auswirkungen dieser Ungleichheiten. Sie zeigt auf, wie Unternehmen und politische Entscheidungsträger durch gezielte Initiativen nicht nur soziale Gerechtigkeit fördern, sondern auch das Wirtschaftswachstum ankurbeln können.

Besonders im Hinblick auf den technologischen Wandel durch KI und Automatisierung wird deutlich, dass ohne Maßnahmen zur Förderung der sozialen Mobilität bestehende Ungleichheiten weiter verschärft werden könnten.

Zentrale Herausforderungen: Benachteiligung aufgrund des sozioökonomischen Hintergrunds

Laut der Studie sieht sich ein Drittel der Europäer*innen aufgrund ihres sozioökonomischen Hintergrunds mit erheblichen Barrieren konfrontiert. Diese äußern sich in einer höheren Arbeitslosenquote, einem langsameren beruflichen Aufstieg und einer Konzentration auf gering qualifizierte Jobs.

Menschen mit niedrigem SEB haben nicht nur eine um 4 Prozentpunkte höhere Arbeitslosenquote als der Durchschnitt, sondern bleiben auch im Schnitt fünf Monate länger arbeitslos. Selbst bei vergleichbarer Bildung arbeiten sie fast dreimal so häufig in gering qualifizierten Positionen wie Personen mit hohem SEB.

Diese strukturellen Benachteiligungen führen dazu, dass viele Talente ungenutzt bleiben und das wirtschaftliche Potenzial dieser Bevölkerungsgruppe nicht ausgeschöpft wird. Die Autoren der Studie schätzen, dass eine Verbesserung der sozialen Mobilität das Bruttoinlandsprodukt (BIP) der EU27-Länder um bis zu 9 Prozent oder 1,3 Billionen Euro steigern könnte.

Derzeit jedoch trägt die stagnierende soziale Mobilität dazu bei, dass das Wirtschaftswachstum gebremst wird und sich der Fachkräftemangel weiter verschärft.

Auswirkungen von KI und Automatisierung: Gefahr für benachteiligte Gruppen

Ein weiterer zentraler Punkt der Studie ist die Analyse der Auswirkungen von KI und Automatisierung auf den Arbeitsmarkt. Bis 2030 könnten durch technologische Innovationen zwar 10 Millionen neue hochqualifizierte Arbeitsplätze entstehen, gleichzeitig könnten jedoch bis zu 6 Millionen geringqualifizierte Jobs wegfallen.

Besonders betroffen sind Beschäftigte mit niedrigem SEB, da sie derzeit 63 Prozent der geringqualifizierten Stellen besetzen. Ohne gezielte Umschulungs- und Qualifizierungsmaßnahmen droht diese Gruppe noch stärker vom Arbeitsmarkt verdrängt zu werden.

Deutschland im Fokus: Wenig Unterstützung für soziale Mobilität

Die Situation in Deutschland zeigt laut McKinsey besondere Defizite auf. Deutsche Unternehmen engagieren sich weniger für die Förderung sozialer Mobilität als beispielsweise britische Organisationen (24 % vs. 37 %).

Zudem bleibt die soziale Herkunft ein starker Indikator für den beruflichen Werdegang: Kinder von gering qualifizierten Beschäftigten haben eine 1,2-mal höhere Wahrscheinlichkeit, ebenfalls in gering qualifizierten Berufen zu verbleiben. Darüber hinaus berichten 31 Prozent der deutschen Arbeitnehmenden von fehlenden Arbeitsplatzrichtlinien zur Unterstützung von Personen mit niedrigem SEB.

Handlungsempfehlungen: Wie Unternehmen soziale Mobilität fördern können

Um die soziale Mobilität nachhaltig zu verbessern, hat McKinsey sieben zentrale Maßnahmen identifiziert, die insbesondere Unternehmen ergreifen können:

  1. Bezahlte Praktikumsprogramme: Finanzielle Hürden für Menschen aus benachteiligten Verhältnissen abbauen.
  2. Datengestützte Rekrutierung: KI-Tools einsetzen, um Talente unabhängig von ihrer sozialen Herkunft zu identifizieren.
  3. Inklusive Einstellungspraktiken: Objektive Bewertung von Fähigkeiten statt Fokus auf Lebenslauf oder Netzwerke.
  4. Mentoren- und Patenschaftsprogramme: Unterstützung durch erfahrene Fachkräfte bieten.
  5. Qualifizierungsprogramme: Zugang zu Weiterbildungen schaffen, um beruflichen Aufstieg zu ermöglichen.
  6. Förderung von Diversität: Unternehmenskultur schaffen, die Vielfalt wertschätzt.
  7. Transparente Karrierewege: Klare Aufstiegsmöglichkeiten kommunizieren.

Diese Maßnahmen können nicht nur dazu beitragen, Chancengleichheit herzustellen, sondern auch langfristig den Fachkräftemangel lindern und das Wirtschaftswachstum fördern.

Die Studie verdeutlicht, dass soziale Mobilität kein rein gesellschaftliches Thema ist, sondern auch eine enorme wirtschaftliche Relevanz hat. Unternehmen und politische Entscheidungsträger sind gleichermaßen gefordert, aktiv zu werden und Programme sowie Strategien zu entwickeln, die Talente aus allen Schichten fördern. Nur so kann Europa sein volles Potenzial ausschöpfen – sowohl sozial als auch ökonomisch.


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