Mehr als die Hälfte der Forschenden denkt darüber nach, die Forschung zu verlassen

Mehr als die Hälfte aller Wissenschaftler*innen äußert ernsthafte Erwägungen, den akademischen Bereich zu verlassen.
Neben der hohen Arbeitsbelastung spielen dabei auch unzureichende berufliche Perspektiven im Zusammenhang mit dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) eine Rolle.
Im Barometer für die Wissenschaft werden die Ergebnisse der vierten DZHW‐Wissenschaftsbefragung vorgestellt. In dieser Studie zu den Arbeits‐ und Forschungsbedingungen an deutschen Universitäten und promotionsberechtigten Hochschulen wird ein repräsentatives Sample von Forscher*innen befragt.
Ausstiegserwägungen aus der Wissenschaft
Während berufliche Zufriedenheit, Karriereziele und vertragliche Arbeitsbedingungen im akademischen Mittelbau schon länger Teil der repräsentativen Trendstudie Wissenschaftsbefragung sind, wurden dieses Jahr erstmalig erhoben, ob ernsthafte Überlegungen bestehen, die Wissenschaft zu verlassen.
»Insbesondere bei Juniorprofs und bei befristeten Postdocs sehen wir sehr viele, die zwar als Karriereziel eine Position in der Wissenschaft angeben, aber dennoch einen Ausstieg ernsthaft erwägen«, betont Gregor Fabian, Autor der Studie, »unbefristete Postdocs und Profs wollen hingegen zumeist im wissenschaftlichen Bereich bleiben. Die beruflichen Perspektiven spielen hier offensichtlich eine wichtige Rolle«.
Forschen und Lehren im Kontext der Corona‐Pandemie
Die tiefgreifenden Veränderungen der Arbeitsorganisation während der Pandemie, z. B. die Bereitstellung der Lehre als Online‐Angebot oder die notwendig gewordene Umstellung der Betreuung der Kinder infolge von Eindämmungsmaßnahmen, stellte Wissenschaftler*innen immer wieder vor Herausforderungen.
»Durch die Auswirkungen der Corona‐Pandemie auf ihre Forschungsarbeit konnte ein großer Teil der Wissenschaftler*innen weniger publizieren als geplant« erklärt Christophe Heger, Autor der Studie. »Als weitere negative Auswirkungen der Pandemie wurden ein Rückgang der Arbeitsproduktivität, fehlende Möglichkeiten zum Netzwerken wie auch zur Karriereentwicklung ausgemacht«.
Bei den Belastungen im Kontext der Pandemie wurden geschlechterspezifische Unterschiede beobachtet, die auch im Zusammenhang mit der Präsenz von Kindern im Haushalt stehen. Insbesondere für Wissenschaftlerinnen gibt es einen negativen Einfluss der pandemischen Lage auf die Publikazionsintensität, vor allem dann, wenn Kinder unter sieben Jahren im Haushalt leben und versorgt werden müssen.
Arbeits‐ und Forschungsbedingungen
Insgesamt zeigen viele Kennzahlen im Forschungssystem im Vergleich mit den bisherigen Wissenschaftsbefragungen in 2019/20 und 2016 eine relative Stabilität auf. Die Publikationsaktivität wird vor allem durch fachspezifische Publikationskulturen geprägt, Drittmittelanträge werden vor dem Hintergrund des gestiegenen Antragsaufwands etwas seltener gestellt, die Möglichkeit einer »Replikationskrise« bleibt in der Debatte erhalten. Die berufliche Zufriedenheit mit der eigenen Tätigkeit in Forschung und Lehre bleibt hoch. Die Diskussion um die beruflichen Perspektiven im akademischen Mittelbau ist unter vielen Forscher*innen weiterhin sehr präsent.
Hintergrund
Insgesamt wurden in der Wissenschaftsbefragung 2023 die Erfahrungen und Meinungen eines repräsentativen Samples von 11.371 Wissenschaftler*innen aus ganz Deutschland erhoben. Diese Studie bietet damit eine Datengrundlage für wissenschaftspolitische Debatten und Entscheidungen und stellt zudem eine Gelegenheit für die Selbstreflexion in der wissenschaftlichen Community dar.
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