Die Mitarbeiter in die Strategieentwicklung integrieren

Ignaz Furger

Ein Beitrag aus unserer »Standpunkte«-Reihe von Ignaz Furger, Zürich (Schweiz).

Unternehmen vertrauen beim Entwickeln ihrer Strategien oft auf externe Berater. Zielführender wäre es, das Know-how und die Erfahrung der Mitarbeiter zu nutzen. Denn nur dann entsteht eine einzigartige Strategie, die auf die Bedürfnisse des Unternehmens zugeschnitten ist und von den Mitarbeitern getragen wird.

»Was sind unsere Ziele, und wie erreichen wir sie?« Auf diese strategischen Fragen sucht jedes Unternehmen eine Antwort. Doch obwohl niemand besser die Kunden und Produkte eines Unternehmens kennt als die eigenen Mitarbeiter, wird ihre Beantwortung oft an Unternehmensberatungen ausgelagert. Diese setzen für diesen Job häufig junge, unerfahrene Hochschulabsolventen als »Business Analysts« ein, die die Geschäftstätigkeit und den Markt des Unternehmens kaum kennen. Eine Folge dieses Vorgehens ist: Die extern erarbeiteten Strategien sind meist sehr vage und beliebig. Und die Unternehmen können sich mit ihnen weder von ihren Mitbewerbern differenzieren, noch können sie damit ihre Mitarbeiter inspirieren. Unter anderem, weil diese intuitiv spüren: Es ist vermutlich zielführender, so weiter zu machen wie bisher als die vorgeschlagene Strategie zu realisieren. Von solchen Strategieentwicklungsprozessen bleiben meist nur prall gefüllte Papierordner übrig, die in Aktenschränken verstauben.

Auf die Kompetenz der Mitarbeiter bauen

Doch wie können Unternehmen eine solche Verschwendung von Zeit und Geld vermeiden? Und wie können sie eine Strategie entwickeln, die auf ihre Organisation zugeschnitten ist und von den Mitarbeitern akzeptiert und umgesetzt wird? Die Antwort liegt auf der Hand: Indem sie voll auf die Erfahrung und das Know-how ihrer Mitarbeiter bauen. Denn wer kennt die Produktionsprozesse und -verfahren besser als die eigenen Werker? Und wer ist mit den Zielmärkten und -kunden stärker vertraut als die eigenen Vertriebsmitarbeiter? Und wer kennt die Kundenwünsche besser als die eigenen Serviceleute? Und wer ist mit den Produkten intimer vertraut als die eigenen Techniker und Konstrukteure? Wohl niemand!

Also liegt es nahe, die Strategie von den Mitarbeitern erarbeiten zu lassen. Selbstverständlich nicht einsam und alleine, sondern in einem mit der Unternehmensführung abgestimmten Prozess, bei dem ausgewählte Mitarbeiter in Arbeitsgruppen vorgegebene strategische Aufgaben bearbeiten und ihre Arbeitsergebnisse der Unternehmensspitze zur Entscheidung präsentieren. Ein solcher Prozess erfolgt nach dem klassischen Muster »Analyse – Optionen – Grundstrategien – Planung – Umsetzung«. Nach jeder Phase werden die Ergebnisse den firmeninternen Entscheidern präsentiert, von diesen verabschiedet und zur weiteren Ausarbeitung an die Arbeitsgruppen zurückdelegiert. Diese können bei ihrer Arbeit je nach Bedarf und Erfahrung von internen oder externen Spezialisten unterstützt werden. Bei einem solchen Vorgehen werden nicht nur das Know-how und die Erfahrung der Mitarbeiter genutzt. Weil die Mitarbeiter aktiv an der Strategieentwicklung beteiligt sind, identifizieren sie sich auch mit ihr. Entsprechend motiviert und engagiert sind sie bei der Umsetzung.

Ein Unternehmensbeispiel

Wie eine solch integrierte Strategieentwicklung in der Praxis funktioniert, sei an einem Unternehmensbeispiel illustriert. Nach einer Restrukturierung, die mit der Entlassung von acht Prozent der Belegschaft verbunden war, stand ein mittelständisches Produktionsunternehmen mit (noch) 1200 Mitarbeitern vor der Frage: Wie geht es weiter? Diese Frage stellte sich nicht nur bezüglich der strategischen Ausrichtung; vielmehr ging es auch darum, die verbliebenen Mitarbeiter von der Zukunftsfähigkeit des Unternehmens zu überzeugen.

In dieser Situation entschied die Unternehmensspitze in den verschiedenen Bereichen der Organisation zunächst die Personen identifizieren, die

  • Träger von Schlüssel-Know-how sind und
  • in der Zukunftsplanung des Unternehmens eine wichtige Rolle spielen – und zwar auf allen Hierarchieebenen.

Sie sollten in dem Strategieentwicklungsprozess aktiv mitarbeiten und parallel dazu im strategischen Management geschult werden.

Nachdem die Schlüsselpersonen identifiziert waren, wurden mehrere Arbeitsgruppen gebildet – in den Bereichen und bereichsübergreifend. Sie erhielten unterschiedliche strategische Aufgaben. Diese bearbeiteten sie in mehreren Workshops. Das heißt, sie sammelten Ideen, die anschließend systematisch bezüglich ihres Potenzials, ihrer strategischen Relevanz und ihrer Machbarkeit bewertet wurden. So schälten sich in einem mehrstufigen Verfahren allmählich die Komponenten heraus, die nach einem bereichsübergreifenden Meinungsbildungs- und Abstimmungsprozess in die letztlich von der Unternehmensführung verabschiedete Strategie einflossen.

Nach dem Verabschieden der Strategie beauftragte das Topmanagement mehrere Projektleiter, die aus dem Kreis besagter Schlüsselpersonen kamen. Sie sollten mit Arbeitsteams in den verschiedenen Bereichen die erforderlichen Maßnahmen planen und umsetzen, um die Strategie mit Leben zu füllen – ebenfalls in einem strukturierten Prozess. Auch das Planen und Realisieren der Umsetzungsmaßnahmen war folglich das Werk der Mitarbeiter. Die Unternehmensleitung ließ sich jedoch regelmäßig über die Fortschritte informieren und nahm bei Bedarf Anpassungen vor. Nach circa einem Jahr war der Prozess der Strategieentwicklung und -umsetzung weitgehend abgeschlossen.

Die Geschäftsführung muss Präsenz zeigen

Eine zentrale Voraussetzung für das Gelingen des Projekts war, dass in die strategische Planung von Anfang an Schlüsselpersonen aus allen Bereichen der Organisation involviert waren, die ihrerseits wiederum in einem lebendigen Dialog mit ihrem Umfeld standen. Dadurch hatte die letztlich verabschiedete Strategie eine sehr hohe Akzeptanz. Denn die Mitarbeiter sahen in ihr nicht eine Vorgabe »von denen, da oben«, sondern betrachteten sie als das Ergebnis ihrer Arbeit.

In diesem Verfahren lassen sich nicht nur unternehmensweite Gesamtstrategien entwickeln. Mit ihm können auch Lösungen für strategische Einzelaufgaben von interfunktionalen Teams erarbeitet und anschließend der Geschäftsführung zur Entscheidung vorgelegt werden.

Ein solch integrierter Ansatz bedeutet für die Unternehmensführung nicht, dass sie von ihren strategischen Aufgaben entlastet oder gar entbunden ist. Im Gegenteil! Vorstand und Geschäftsleitung beschäftigen sich sogar intensiver mit der Strategie: Sie lesen Unterlagen. Sie stellen sich intensiven, aufschlussreichen, aber auch herausfordernden Diskussionen mit den Mitarbeitern und dies nicht nur während der Entwicklung, sondern auch Umsetzung. Sie hinterfragen die Arbeit der Mitarbeiter – und auch ihre eigene. Ihre Aufgabe ist und bleibt es, nachzuhaken, dranzubleiben und die Umsetzung unterstützend zu treiben. Fatal wäre es, sich zurückzulehnen und die Soldaten alleine in die Schlacht zu schicken.

Mitarbeiterintegration hat viele Vorteile

Der beschriebene Ansatz einer integrierten Strategieentwicklung hat auch folgende Vorteile:

  • Eine mit den Mitarbeitern entwickelte Strategie ist leichter umsetzbar. Die Mitarbeiter werden von Kritikern zu Anwälten der Strategie. Sie sind überzeugt von ihrer Richtigkeit und werden somit zu aktiven Treibern der Umsetzung statt nur als passive »Befehlsempfänger« zu agieren.

  • Durch die Integration von Schlüsselpersonen in den Prozess wird ein Change Management weitgehend überflüssig. Es entsteht eine Lust an Veränderung, und Barrieren werden leichter überwunden.

  • Das Wissen der Organisation wird konsolidiert, verbreitert und nachhaltig verankert. Es bildet die Basis für das eigenständige Weitentwickeln der Strategie.

  • Die Mitarbeiter werden im strategischen Management geschult. Strategisches Denken und Handeln werden zu einem integralen Teil der Mitarbeiterqualifizierung und Managemententwicklung.

  • Es entsteht eine gemeinsame Sprache. Die Bedeutung von Begriffen wird geklärt und verstanden, und durch das gleiche Verständnis von Problemen und Lösungen entsteht Vertrauen.

  • Es wird ein zentrales Element der Unternehmenskultur, offen und konstruktiv über kontroverse Themen zu kommunizieren. Das stärkt das wechselseitige Vertrauen und schafft Transparenz bei der Zusammenarbeit.

Ziel: einen langfristigen Wettbewerbsvorteil aufbauen

Auch für das beschriebene Projekt engagierte das Unternehmen einen externen Berater. Seine Rolle bestand jedoch nicht darin, sozusagen stellvertretend für das Unternehmen eine Strategie für dieses zu entwerfen. Er sollte vielmehr »Hilfe zu Selbsthilfe« leisten. Das heißt, er unterstützte das Unternehmen dabei, das in den Köpfen der Mitarbeiter vorhandene Know-how und ihre unternehmerische Fantasie strategisch zu nutzen. Er moderierte in weiten Teilen den firmeninternen Abstimmungsprozess. Und er stand den Arbeitsgruppen als unabhängiger Sparringpartner zur Verfügung, der bei Bedarf

  • die richtigen, vorwärts treibenden Fragen stellt,

  • die Ergebnisse plausibilisiert und

  • für die Diskussion mit der Unternehmensführung aufbereitet.

Das Resultat eines solchen Vorgehens sind Strategien, die passgenau auf das Unternehmen zugeschnitten sind und Mitbewerber nur schwer nachahmen können. Und erst hierauf lassen sich langfristige Wettbewerbsvorteile aufbauen.

Zum Autor: Ignaz Furger ist Inhaber der Furger und Partner AG Strategieentwicklung, Zürich, die Unternehmen beim Entwickeln und Umsetzen nachhaltiger Strategien unterstützt und ihre Mitarbeiter im strategischen Management qualifiziert.

In unserer Reihe »Standpunkte« bieten wir von Zeit zu Zeit engagierten Akteuren aus den Bereichen Weiterbildung, Personalentwicklung und Wissensmanagement die Möglichkeit, sich mit einem aktuellen Thema an unsere Leser zu wenden. Unabhängig vom jeweiligen Inhalt weisen wir darauf hin, dass diese Artikel ausschließlich die Meinung des jeweiligen Autors wiedergeben und nicht zwangsläufig mit der Auffassung der Redaktion in Einklang zu bringen sind.

 

 

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