Regierungspläne zu längeren Arbeitstagen stoßen auf scharfe Kritik

Hans Böckler Stiftung

Regierungspläne würden Arbeitstage von über 12 Stunden erlauben – negative Folgen für Gesundheit und Vereinbarkeit

Die Bundesregierung plant, das Arbeitszeitgesetz zu lockern und künftig eine wöchentliche statt einer täglichen Höchstarbeitszeit zu ermöglichen. Damit könnten Arbeitstage von über 12 Stunden Realität werden.

Das Hugo Sinzheimer Institut für Arbeitsrecht (HSI) der Hans-Böckler-Stiftung warnt in einer aktuellen Analyse vor erheblichen Risiken für Gesundheit und Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben.

Gesundheitliche Risiken durch überlange Arbeitstage

Nach Einschätzung der HSI-Expert*innen Dr. Amélie Sutterer-Kipping und Dr. Laurens Brandt würde eine Ausweitung der täglichen Arbeitszeit bestehende gesundheitliche Probleme in der Erwerbsbevölkerung verschärfen.

Arbeitsmedizinische Erkenntnisse belegen, dass Arbeitszeiten von mehr als acht Stunden das Risiko für stressbedingte und körperliche Erkrankungen deutlich erhöhen. Dazu zählen Burnout, psychische und physische Erschöpfungszustände sowie ein erhöhtes Risiko für Schlaganfälle, Diabetes und Krebs.

Die Dauer von Krankheitsausfällen bei psychischen Erkrankungen lag laut DAK 2023 bei durchschnittlich 33 Tagen. Auch das Unfallrisiko am Arbeitsplatz steigt ab der achten Arbeitsstunde exponentiell an: Nach zwölf Stunden Arbeit verdoppelt sich die Unfallrate im Vergleich zu einem Acht-Stunden-Tag. Dieses Risiko betrifft nicht nur die Beschäftigten selbst, sondern auch Dritte, etwa Patientinnen oder Verkehrsteilnehmende.

Vereinbarkeit von Beruf und Familie würde leiden

Die Forschenden betonen, dass eine wöchentliche Höchstarbeitszeit Betreuungskonflikte nicht löse, sondern verschärfe. Besonders Frauen könnten dadurch weiter aus dem Erwerbsleben gedrängt werden, was langfristig ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit und Karrierechancen gefährde. Die Planbarkeit und Vorhersehbarkeit von Arbeitszeiten seien entscheidend für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie.

Die geplante Reform drohe, die ohnehin schon hohe Teilzeitquote – insbesondere bei Frauen – weiter zu verstärken und damit das Arbeitsangebot zu schwächen.

Arbeitszeitvolumen auf Rekordniveau – Flexibilität bereits gegeben

Laut aktuellen Zahlen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) erreichten sowohl die Zahl der Erwerbstätigen als auch das Arbeitszeitvolumen 2023 Rekordwerte. Besonders der Anstieg der Erwerbsquote von Frauen trug dazu bei. Gleichzeitig ist die durchschnittliche Jahresarbeitszeit pro Beschäftigten durch den Anstieg der Teilzeitbeschäftigung gesunken.

Die HSI-Expert*innen betonen, dass das bestehende Arbeitszeitgesetz bereits erhebliche Flexibilität ermögliche: So kann die tägliche Arbeitszeit ohne besondere Begründung auf bis zu zehn Stunden ausgeweitet werden, sofern ein Ausgleich innerhalb von sechs Monaten erfolgt. Darüber hinaus gibt es zahlreiche Ausnahmen und Sonderregelungen, etwa durch Tarifverträge oder behördliche Genehmigungen, die längere Arbeitszeiten ermöglichen.

Forderung nach echter Arbeitszeitsouveränität

Die HSI-Fachleute kritisieren, dass die geplante Reform an den Bedürfnissen der Beschäftigten vorbeigehe. Was wirklich helfe, sei mehr Einfluss der Arbeitnehmerinnen auf die Verteilung ihrer Arbeitszeit. Im aktuellen Koalitionsvertrag fehle jedoch eine entsprechende Regelung. 

Die Expert*innen fordern stattdessen eine Stärkung der institutionellen Kinderbetreuung und eine Weiterentwicklung der Brückenteilzeit, um die sogenannte »Teilzeitfalle« zu überwinden und die gleichberechtigte Verteilung von Sorgearbeit zu fördern.


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