Frühe Bildung: Soziale Kompetenzen oft vernachlässigt

 Frühe Bildung (Symbolbild)

Frühförderung mit Schlagseite: Wenn kognitive Fähigkeiten alles sind

Programme zur frühkindlichen Bildung weltweit schenken sozialen Kompetenzen und strukturellen Ungleichheiten bisher zu wenig Beachtung.

Das zeigt eine aktuelle internationale Studie unter Mitwirkung der Technischen Universität München (TUM), der Universität Luxemburg und der Autonomen Universität Barcelona. Untersucht wurden bildungspolitische Leitlinien aus 53 Ländern sowie von der EU und der OECD.

Ergebnis: Während kognitive Fähigkeiten klar im Fokus stehen, finden soziale Kompetenzen und sozioökonomische Voraussetzungen kaum Eingang in Bildungspläne.

Kognition im Vordergrund, Soziales am Rand

Die Analyse von über 90 offiziellen Dokumenten – darunter Bildungspläne und politische Leitlinien aus der Zeit zwischen 1999 und 2023 – zeigt ein klares Muster: Frühe Bildung soll in erster Linie kognitive Fähigkeiten wie Sprachvermögen, Informationsverarbeitung und Raumwahrnehmung stärken. Kompetenzen wie Kooperation, Respekt, Toleranz oder gemeinsames Problemlösen, die für das gesellschaftliche Miteinander entscheidend sind, werden deutlich weniger berücksichtigt.

Zwar tauchen sozio-emotionale Aspekte wie das Erkennen von Emotionen in einigen Programmen auf, vor allem in Papieren internationaler Organisationen, doch soziale Handlungsfähigkeit bleibt vielerorts außen vor.

Sozialer Hintergrund kaum thematisiert

Ein weiteres zentrales Ergebnis der Studie: Bildungspolitische Programme setzen weltweit stark auf persönliche Anstrengung, Talent und Eigenverantwortung als Voraussetzung für Bildungserfolg. Die sozialen Rahmenbedingungen – etwa der Bildungsstand oder das Einkommen der Eltern, belastende Lebensereignisse wie Flucht oder Krankheit – spielen hingegen nur eine untergeordnete Rolle.

Auch der Einfluss unterstützender Netzwerke wie Familie, Freundeskreis oder pädagogische Fachkräfte wird selten thematisiert. Das zugrunde liegende Menschenbild folgt damit einem Leistungsdenken, das strukturelle Benachteiligungen ausklammert.

Forschende schlagen Alarm

Prof. Samuel Greiff von der TUM erklärte, die Studie zeige zwei deutliche Defizite im aktuellen Verständnis früher Bildung weltweit: Einerseits werde individueller Erfolg häufig auf Talent und Einsatzfähigkeit zurückgeführt, ohne die Macht struktureller Rahmenbedingungen zu berücksichtigen. Andererseits fehle vielerorts die Förderung sozialer Kompetenzen, obwohl diese zentral für Lebensbewältigung und beruflichen Erfolg seien.

In Bezug auf gesellschaftlichen Zusammenhalt und demokratische Werte äußerte Greiff ebenfalls Bedenken. Es sei problematisch, dass Bildungspläne genau jene Fähigkeiten vernachlässigten, die Demokratien dringend benötigten. In Zeiten wachsender gesellschaftlicher Spannungen sei dies ein kontraproduktiver Kurs.

Wettbewerbsdruck schon im Vorschulalter

Laut den Forschenden kann diese bildungspolitische Ausrichtung auch problematische Effekte auf gesellschaftlicher Ebene haben. Es bestehe die Gefahr, dass bereits im Vorschulbereich ein Leistungswettbewerb zwischen Bildungseinrichtungen entstehe. Einrichtungen könnten dabei versuchen, sich durch eine möglichst intensive Förderung kognitiver Leistungen zu profilieren – auf Kosten anderer wichtiger Bildungsziele.

Die Studie fordert daher nicht nur ein Umdenken bei der Ausgestaltung bildungspolitischer Programme, sondern auch weitere Forschung. Nur so könne sichergestellt werden, dass die frühkindliche Bildung tatsächlich alle Kinder unabhängig von Herkunft und Umfeld ganzheitlich fördert.

Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Prof. Dr. Samuel Greiff
Technische Universität München (TUM)
Lehrstuhl für Educational Monitoring and Effectiveness
Tel.: 089. 28 92 42 14
samuel.greiff@tum.de

Prof. Greiff ist Vorstandsvorsitzender des Zentrums für internationale Bildungsvergleichsstudien (ZIB) an der TUM. 


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