
Der IQB-Bildungstrend 2024 zeigt deutliche Leistungseinbrüche in Mathematik und Naturwissenschaften. Besonders betroffen sind Jugendliche aus bildungsfernen Familien.
Bildung im Stresstest: Der IQB-Bildungstrend 2024 im Überblick
Der aktuelle IQB-Bildungstrend dokumentiert erneut einen deutlichen Rückgang der Schülerleistungen in Mathematik, Biologie, Chemie und Physik. Im Vergleich zu 2012 und 2018 liegen die Durchschnittswerte in allen getesteten Kompetenzbereichen niedriger.
Rund ein Drittel der Neuntklässler*innen verfehlt den Regelstandard, etwa zehn Prozent erreichen nicht einmal die Mindeststandards, die laut Kultusministerkonferenz (KMK) als grundlegendes Bildungsziel gelten.
Wachsende Leistungsunterschiede zwischen den Ländern
Seit 2012 hat sich der Abstand zwischen leistungsstarken und leistungsschwachen Ländern um etwa 20 Punkte vergrößert. Bayern und Sachsen behaupten ihre Spitzenpositionen, während Bremen, Berlin und Nordrhein-Westfalen deutlich hinter dem Bundesdurchschnitt liegen.
In Bremen verfehlt fast jede*r fünfte Jugendliche den Mindeststandard in Mathematik. Auch in den Naturwissenschaften bleibt das Muster stabil: Süddeutsche Länder schneiden konstant besser ab, während Stadtstaaten und strukturschwächere Regionen stagnieren oder zurückfallen.
Nachwirkungen der Pandemie
Die analysierte Kohorte befand sich zu Beginn der Corona-Pandemie in der fünften Klasse. Mehrere Phasen des Fern- und Wechselunterrichts haben Spuren hinterlassen. Laut IQB verstärkte die Pandemie bestehende Defizite, anstatt sie zu verursachen.
Besonders betroffen sind Jugendliche aus sozioökonomisch schwachen Familien und mit Zuwanderungshintergrund. In diesen Gruppen zeigen sich Lernrückstände und geringere Chancen, Mindeststandards zu erreichen, besonders deutlich.
Bildungserfolg bleibt sozial ungleich
Die Untersuchung bestätigt: Die soziale Herkunft prägt den Bildungserfolg stärker als Schulstruktur oder Unterrichtsform. Jugendliche aus bildungsnahen Haushalten erreichen deutlich häufiger die Regelstandards, während Schüler*innen mit begrenzten häuslichen Lernressourcen klar schlechter abschneiden.
Seit 2018 ist der Anteil der sozial benachteiligten Jugendlichen, die den Regelstandard in Mathematik erreichen, spürbar gesunken. Das Bildungsgefälle zwischen den Ländern wächst damit weiter.
Geschlechter- und Herkunftsdifferenzen
Mädchen übertreffen Jungen in Biologie und Chemie, während Jungen in Mathematik leicht im Vorteil sind. Jugendliche mit Zuwanderungshintergrund erzielen im Durchschnitt geringere Werte – auch bei vergleichbaren Sprachkenntnissen und familiären Ressourcen.
Auffällig ist der Anteil leistungsstarker, aber unterbewerteter Schüler*innen aus dieser Gruppe, die trotz hoher Motivation unterhalb der Regelstandards bleiben.
Digitalisierung – Potenziale und Grenzen
Digitale Medien sind im Unterricht inzwischen allgegenwärtig, doch ihr pädagogischer Mehrwert hängt stark vom didaktischen Einsatz ab. Seit 2018 nutzen Lehrkräfte digitale Tools häufiger, jedoch mit sehr unterschiedlicher Qualität.
In Bayern und Hamburg zeigen Schulen mit gezielter Medienintegration stabile oder leicht bessere Ergebnisse. Wo Technik vorhanden, aber ohne pädagogisches Konzept eingesetzt wird, verpuffen die Effekte. Der Bericht verweist auf die Notwendigkeit einer systematischen Lehrerbildung im digitalen Bereich.
Unterrichtsqualität und Arbeitsbelastung der Lehrkräfte
Die Studie zeigt einen engen Zusammenhang zwischen Unterrichtsqualität, Lehrerzufriedenheit und Schülerleistungen. Lehrkräfte, die ihren Beruf als sinnvoll empfinden und sich fachlich gut vorbereitet fühlen, erzielen mit ihren Klassen höhere Kompetenzwerte.
Gleichzeitig berichten viele über hohe Arbeitsbelastung, administrative Anforderungen und fehlende Zeit für individuelle Förderung. Diese Faktoren tragen laut IQB indirekt zum Leistungsrückgang bei.
Fazit und bildungspolitische Perspektiven
Die Ergebnisse erhöhen den Druck auf Politik und Bildungsverwaltung. Diskutiert werden gezieltere Förderprogramme, eine bundesweite Grundbildungsstrategie, mehr Lehrerfortbildung und der Ausbau digitaler Lerninfrastrukturen.
Nach drei Erhebungszyklen zeigt sich: Die KMK-Bildungsstandards geraten zunehmend unter Druck. Besonders die wachsende Zahl der Jugendlichen unterhalb der Mindeststandards stellt eine strukturelle Herausforderung dar.
Das IQB betont, dass nachhaltige Qualitätsentwicklung nur durch langfristige, evidenzbasierte Maßnahmen möglich ist – und durch stabile Lernbedingungen, die Lehrkräfte und Schüler*innen gleichermaßen entlasten.
Hintergrund
Der IQB-Bildungstrend 2024 untersucht die Kompetenzen von Schüler*innen der 9. Jahrgangsstufe in ganz Deutschland sowie in den einzelnen Bundesländern. Zur Zielgruppe gehören alle Neuntklässler*innen an allgemeinbildenden Schulen, einschließlich Förderschulen – mit Ausnahme von Schüler*innen im Förderschwerpunkt »geistige Entwicklung« und solchen, die weniger als ein Jahr Deutschunterricht hatten.
Für die Studie wurde eine repräsentative Zufallsstichprobe gezogen. An Förderschulen wurden nur Jugendliche mit den Förderschwerpunkten »Lernen«, »Sprache« und »emotionale und soziale Entwicklung« einbezogen.
Insgesamt flossen Daten von 48.279 Schüler*innen aus 1.556 Schulen in die Auswertung ein. Aufgrund des Testdesigns basieren die Berechnungen für Mathematik auf den Daten von 27.268 und für die Naturwissenschaften auf den Daten von 27.501 Schüler*innen.
VERWEISE
- IQB-Bildungstrend 2024 (Berichtsband) ...
- vgl. KMK: »Licht und Schatten im IQB-Bildungstrend 2024« ...
- vgl. Deutscher Bildungsserver: »Ergebnisse zum IQB-Bildungstrend 2024« ...
- vgl. GEW: »Erschreckende Ergebnisse – Fehler im System« ...
- siehe auch Jan-Martin Wiarda: »Die Misere, die keine Überraschung ist« ...
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