Wie Arbeitgeber sich zur zukunftsfähigen Talentschmiede wandeln

Patrick BriggerQuelle: AutorEin Beitrag aus unserer »Standpunkte«-Reihe von Patrick Brigger, Schweiz.

In Zeiten des Fachkräftemangels heißt die Devise: Talente bewahren und weiterentwickeln. Das ist jedoch einfacher gesagt als getan. Der Konkurrenz- und Abwerbungskampf auf dem Arbeitsmarkt tobt stärker als je zuvor. Dabei gibt es nur einen Weg, um die Probleme anzugehen: Unternehmen müssen sich von einfachen Arbeitgebern zu Talentschmieden wandeln.

In fast allen Wirtschaftsbereichen herrscht ein eklatanter Mangel an qualifizierten Arbeitskräften. Die hauptsächlichen Gründe hierfür sind eine stetig alternde Gesellschaft bei gleichzeitig niedriger Geburtenrate. Der Kampf um Talente zwischen den Unternehmen tobt deshalb immer heftiger. Firmen und Institutionen nutzen heutzutage eine Vielzahl von Techniken, Methoden und Netzwerken, um neue Mitarbeitende anzuwerben. Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf Kampagnen in sozialen Medien wie Instagram oder Facebook. Wer darauf hofft, von Bewerbungen überschwemmt zu werden, wartet vergeblich und selbst herkömmliche Recruiting-Schritte wie Stellenanzeigen funktionieren längst nicht mehr so gut wie früher. Die deutsche Wirtschaft hat also erkannt, dass sie sich an die heutige Zeit anpassen muss. Unternehmen müssen lernen, ihre Talente selbst zu schmieden. Eine zentrale Rolle spielt hier die HR-Abteilung. HR-Verantwortliche sind in der Lage, nicht nur die Arbeitgeberattraktivität zu erhöhen, sondern binden auch Mitarbeitende langfristig an sich und steigern dadurch die Gesamtleistung des Unternehmens. Mithilfe von gezielten, modernen Fortbildungsmethoden und individueller Förderung reizen sie das maximale Potenzial der vielfältigen Belegschaft aus.

Dabei darf nicht vergessen werden, dass junge Mitarbeitende von den Erfahrungen und dem Know-how der älteren Belegschaft enorm profitieren. Es sind also gerade die langjährigen Mitarbeitenden, die einen bedeutenden Beitrag zum Erfolg des Unternehmens leisten. Ihre hohe fachliche Qualifikation und jahrzehntelange Expertise sollten Unternehmen als unbezahlbar gelten – vor allem in Hinsicht auf die Förderung der nachfolgenden Arbeitergenerationen.

Alte Hasen fördern junge Welpen

Die beruflichen Fähigkeiten der älteren Mitarbeitenden spielen also eine zentrale Bedeutung bei der Förderung und Schulung der jungen Mitarbeitergeneration. Deshalb muss ein regelmäßiger, generationsübergreifender Wissenstransfer sichergestellt sein. Gleichzeitig verantworten ältere Angestellte öfter Aufgaben, die aufgrund der Digitalisierung besonders von Umstrukturierungen betroffen sind. Unternehmen sind also in der Verpflichtung, geeignete Schulungen für die moderne Arbeitswelt anzubieten, um neue Mitarbeiter anzuziehen und erfahrene zu halten. Besonders wichtig sind Soft Skills wie Konfliktmanagement, Problemlösungsfähigkeiten und Teamarbeit. Laut der Trendstudie »Upskilling - Digitalisierung und neues Lernen« der IUBH sind große und mittelständische Unternehmen zuversichtlich, dass diese Fähigkeiten in Zukunft sogar noch wichtiger werden.

Quereinsteigende und junge Talente – Nicht nur fordern, sondern auch fördern!

Förderung spielt auch beim Thema Quereinstieg eine große Rolle. Aufgrund des Fachkräftemangels und sich verändernder Berufsanforderungen setzen Unternehmen immer mehr auf Quereinsteigende. Laut einer Erhebung des Jobportals Indeed hat sich die Anzahl der Stellen, welche sich an Quereinsteigende richten, innerhalb des Jahres 2020 verdoppelt. Berufliche Förderung von Talenten gewinnt hierdurch nochmals an Bedeutung. Auch dies zeigt, wie wichtig es ist, Talente in ihrem Job zu unterstützen und zu fördern. Je schneller und besser Quereinsteigende die grundlegenden Fähigkeiten für eine Position erwerben, desto besser können sie im täglichen Geschäft angewandt werden. Falls eine Stelle nicht besetzt werden kann, müssen die Aufgaben von anderen Mitarbeitenden übernommen werden, wofür möglicherweise eine spezielle Schulung erforderlich ist.

HR-Abteilungen in Unternehmen sind nicht nur in der Pflicht, regelmäßig neue Mitarbeiter einzustellen, sie haben auch die Verantwortung erfahrene Mitarbeitende zu halten und junge Talente anziehen. Jüngere Talente legen dabei besonders Wert auf nützliche Fortbildungen. Laut einer Forsa-Umfrage halten 87 Prozent der Personen im Alter bis 35 Jahre, berufliche Weiterbildung für äußerst wichtig oder sehr wichtig. Um junge Talente zu gewinnen und zu halten, ist es deshalb essenziell, ein starkes Angebot an beruflichen Weiterbildungen im Portfolio zu haben.

Wer nicht weiterbildet, verliert mehr Mitarbeitende als durch Abwerbungen

Unternehmen müssen einiges an Zeit und Geld investieren, um ihre Mitarbeiter weiterzubilden. Falls diese aufgrund ihrer höheren Qualifikation einen neuen Job suchen oder abgeworben werden, sehen das Unternehmen generell als schmerzvollen finanziellen Verlust. Diese implizite Befürchtung gegenüber Abwerbungen ist teilweise nachvollziehbar, aber Unternehmen egal welcher Größe können trotzdem nicht umhin, in den Fortbildungsbereich zu investieren.

Eine Studie der Unternehmensberatung McKinsey zeigt: Wenn Organisationen in ihre Mitarbeitenden investieren, sind sie auch erfolgreicher. Besonders die Bereiche Upskilling, also die Fortbildung jedes Einzelnen und Reskilling, eine de facto Umschulung für einen bisher fachfremden Bereich, werden immer wichtiger. Denn: Der aktuelle Arbeitsmarkt bietet aufgrund des Fachkräftemangels meist nicht das an, wonach Unternehmen personell suchen. Dass Mitarbeitende nach dem Reskilling doch verloren gehen, können Arbeitgeber nicht vollständig vermeiden. Die Studie zeigt jedoch, dass Arbeitnehmende einem Unternehmen eher treu bleiben, wenn dieses in sie investiert. Schlechte Fortbildungsmöglichkeiten erhöhen also die Gefahr, dass unzufriedene Talente sich abwerben lassen. Unzufriedenheit und innere Kündigung sind die Folgen unzureichender individuellen Entwicklungsmöglichkeiten. Daher sollten Unternehmen nicht scheuen, die Fähigkeiten ihrer Mitarbeiter aktiv zu fördern. Es ist wichtig, dass die Förderungsmöglichkeiten so flexibel und individuell wie möglich gestaltet werden. Insbesondere digitale Methoden sind hier von Vorteil: Sie ermöglichen den Lernenden, jederzeit individuell auf die Lerninhalte zuzugreifen und somit ihr eigenes Lerntempo festzulegen.

Falls Unternehmen sich tatsächlich mit vollem Einsatz dazu entschließen, zu einer Talentschmiede zu werden, kommt ein weiterer wichtiger Punkt neben der Mitarbeiterförderung hinzu: Die Gestaltung des Arbeitsplatzes.

Silentio! – Oder wie viel Lärm verträgt ein Arbeitsplatz?

Während der Corona-Pandemie setzte sich das Homeoffice weitflächig durch. Seit neuestem herrscht jedoch eine entgegengesetzte Entwicklung: Die Anzahl der Arbeitnehmenden, die im Homeoffice arbeiten, nimmt ab. Es gibt verschiedene Ursachen dafür: Einige bevorzugen die eher geschäftige Arbeitsumgebung, während andere das Büro als ruhige Oase nutzen, um sich voll und ganz auf die Arbeit zu konzentrieren. Außerdem verlangt ein Teil der Firmen auch, dass Angestellte wieder ins Büro zurückkehren. Welche Erkenntnisse können Unternehmen aus den verschiedenen Perspektiven der Angestellten für die Gestaltung ihrer Arbeitsplätze gewinnen?

Es ist unbestritten, dass die meisten Mitarbeitenden ungestörte Arbeitszeiten brauchen, um ihre beste Leistung zu erbringen und dass diese Zeiten möglichst frei von Lärm und Ablenkung sein sollten. Viele Unternehmen haben mittlerweile den schädlichen Einfluss von ständigen Meeting-Unterbrechungen erkannt. Deshalb greifen einige auf Maßnahmen wie konferenzfreie Arbeitsintervalle zurück, während andere auf »Stille-Regeln« wie in einer Bibliothek oder sogar einem »No-Talk Thursday« setzen.

Unternehmen müssen zudem die akustische und räumliche Gestaltung ihrer Büros berücksichtigen. Was wir hören (oder nicht hören) hat immerhin einen erheblichen Einfluss darauf, wie wir uns in einem Raum fühlen und welche Aktivitäten er fördert und welche nicht. Daher sollte ein produktiver Arbeitsplatz den Mitarbeitenden helfen, konzentriert zu bleiben. Darüber hinaus fördert ein gut eingerichteter Arbeitsplatz das Entwicklungspotenzial.

Der Arbeitgeber der Zukunft ist eine Talenteschmiede

Unternehmen sind in Zukunft keine reinen Arbeitgeber mehr. Stattdessen wird an sie die Erwartung gerichtet, positive Entwicklungsmotoren für junge Talente zu sein. Durch den Wandel zu einer Talentschmiede werden sie demnach attraktiver auf dem Arbeitsmarkt und reduzieren die Fluktuation. Unternehmen sollten daher ihre Scheu vor dem Investment in Fortbildungsmöglichkeiten ablegen. Immerhin sind Talente das wichtigste Gut, das ein Unternehmen besitzt.


 

Quelle: Autor

Patrick Brigger ist Mitgründer und Vorsitzender von getAbstract.
Seinen Ph.D. erhielt er von der ETH Lausanne. Von 1995 bis 1998 war er Mitarbeiter und später Leiter des Signal Processing Laboratory der National Institutes of Health in Washington D.C. Seine Arbeit wurde mit einem Small-Business-Innovation-Research-Stipendium honoriert. Später gründete Patrick Brigger eine US-amerikanische Softwareentwicklungs- und IT-Beratungsfirma in New York. Zur selben Zeit arbeitete er beim IBM T.J. Watson Research Center in Hawthorne, New York. 1999 gründete er getAbstract mit. 2005 zogen Patrick Brigger und Mitgründer Thomas Bergen in die USA und bauten dort den amerikanischen Markt auf. Er ist Vorsitzender des Verwaltungsrates und COO. 

In unserer Reihe »Standpunkte« bieten wir von Zeit zu Zeit engagierten Akteuren aus den Bereichen Weiterbildung, Personalentwicklung und Wissensmanagement die Möglichkeit, sich mit einem aktuellen Thema an unsere Leser zu wenden. Unabhängig vom jeweiligen Inhalt weisen wir darauf hin, dass diese Artikel ausschließlich die Meinung des jeweiligen Autors wiedergeben und nicht zwangsläufig mit der Auffassung der Redaktion in Einklang zu bringen sind.

 

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