Transparenz statt Ignoranz: Mobile Arbeiter im Home Office fördern und schützen

(Geschätzte Lesezeit: 4 - 8 Minuten)

 

 

Markus Dohm2 Ein Beitrag aus unserer »Standpunkte«-Reihe von Markus Dohm, Köln.

Die Debatte zwischen Führungskräften, Politik, Gewerkschaften und jungen Wissensarbeitern um das Recht auf Home-Office ist geprägt von Vorurteilen, falschen Vorstellungen und vor allem Ignoranz gegenüber der Wirklichkeit in der zweiten Dekade des 21. Jahrhunderts. Viele Führungskräfte befürchten Kontrollverlust und dass ihre Mitarbeiter in Heimarbeit ihre Leistungen nicht brächten. Denn nach wie vor herrscht in Deutschland die Anwesenheit als Nachweis der Arbeitsleistung und weniger das Arbeitsergebnis.

Aktuelle Untersuchungen zeigen allerdings, dass das Home-Office eine adäquate Antwort auf zahlreiche Herausforderungen westlicher Industrienationen ein kann – ob Treibhausgasemissionen durch Pendler, Demografie oder Digitalisierung und vor allem der sich gravierend verschärfende Fachkräftemangel oder die Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

»Wichtiger als die Frage des OB wäre es zu klären, wie sich Unternehmen flexibilisieren, ihre Spielregeln modernisieren, und wie Arbeitgeber künftig ihrer Fürsorgepflicht für Arbeitnehmer nachkommen wie beispielweise mit Weiterbildung sowie Arbeits- und Gesundheitsschutz«, empfiehlt Markus Dohm, Executive Vice President bei TÜV Rheinland Academy & Life Care.

Viele Führungskräfte, die sich wenig mit Motivation beschäftigen, pflegen das Vorurteil, ihre Mitarbeiter würden im Home-Office weniger Leistung bringen. Das Gegenteil ist der Fall, wie eine Untersuchung des Stanford-Professors Nicholas Bloom 2017 zeigte. Über zwei Jahre beobachtete er einen erstaunlichen Produktivitätsschub bei den Telearbeitern. Professor Bloom berichtet über seine Studienergebnisse: »Die Heimarbeit führte zu einer Leistungssteigerung von 13 Prozent, wovon neun Prozent auf mehr Minuten pro Schicht, weniger Pausen und Krankheitstage sowie vier Prozent auf mehr Anrufe pro Minute zurückzuführen sind […]. Die Heimarbeiter berichteten ebenfalls über eine verbesserte Arbeitszufriedenheit […].« Aufgrund des Erfolgs des Experiments führte Ctrip die Option für Home-Office auf die gesamte Firma aus und erlaubte den Mitarbeitern, zwischen Heim und Büro zu wählen. Interessanterweise wechselte über die Hälfte von ihnen, was dazu führte, dass sich die Gewinne durch Home-Office auf 22 Prozent fast verdoppelten. Denn das Unternehmen sparte 2.000 Dollar bei den Mietkosten pro Arbeitsplatz. Bloom schloss aus seiner Untersuchung die Empfehlung, flexible Regelungen für die Heimarbeit zu finden, die den sozialen Bedürfnissen der Mitarbeiter ebenso gerecht werden wir dem Bedarf nach hochkonzentrierter Arbeit in heimischer Kulisse.

Nur zwölf Prozent deutscher Arbeitnehmer arbeitet im Home-Office

Angesichts der positiven Erfahrungen und Erwartungen in Branchen und Ländern, die Home-Office bereits nutzen, ist diese Arbeitsweise in Deutschland im Vergleich zum EU-Durchschnitt deutlich unterrepräsentiert. Während in Schweden bereits 32 Prozent, in Finnland 28 Prozent, in den USA 20 Prozent, in Indien 19 Prozent der Arbeitnehmer mindestens zeitweise remote arbeiten, sind es in Deutschland lediglich zwölf Prozent. Das ermittelte die Internationale Arbeitsorganisation der UN (ILO) 2017. Der Fehlzeiten-Report 2019 des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) berichtet von 40 Prozent aller Beschäftigten, die heute schon regelmäßig außerhalb ihres Unternehmens arbeiten, unabhängig von Ort oder Zeit. Die ILO-Autoren betonen in ihrem Bericht die positiven Seiten der Telearbeit, beispielsweise größere Arbeitszeitautonomie durch höhere Flexibilität in der Arbeitsorganisation. Sie erkennen in Heimarbeit eine bessere Vereinbarung von Familie und Beruf und bestätigen andere Studien, die eine höhere Produktivität nachweisen. Allerdings beleuchten sie auch die Kehrseite der Medaille. Nachteile ergäben sich durch die Tendenz, dass Heimwerker länger arbeiten und häufigere Überschneidungen zwischen Arbeit und Privatleben beklagen, verbunden mit hohen Stresslevels. Wobei auch die Studienautoren betonen, dass sich einige Telearbeiter einer besseren Work-Life-Balance erfreuen, während andere Heimwerker einem höheren Gesundheitsrisiko ausgesetzt seien. »Die Studie belegt, dass der Gebrauch moderner Kommunikationstechnologien allgemein eine bessere Work-Life-Balance erreichen kann. Abhängig vom Ort der Arbeit und den verschiedenen Anforderungen im Beruf verschwimmen aber auch die Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben«, so Jon Messenger, Ko-Autor der Studie. Besonders Mehrarbeit durch die permanenten Verlockungen piepender und blinkender Kommunikationstechnologien verführten viele Heimarbeiter zu unbezahlten Überstunden am Abend und Wochenende.

Auch andere Studien zeigen, dass nicht alle Mitarbeiter im Home-Office glücklich werden. So arbeitet die sechste Europäische Erhebung über die Arbeitsbedingungen: 2015 auch heraus, dass es durch die räumliche Nähe von Arbeits- und Familienleben in der eigenen Wohnung zu neuen Konflikten kommen könne. Diese »Störungen«, die aus dem familiären Umfeld auf den beruflichen Alltag ausstrahlen, kommen in den anderen Beschäftigtengruppen deutlich seltener vor«, schreibt Dr. Oliver Stettes, Leiter des Kompetenzfelds Arbeitsmarkt und Arbeitswelt vom Institut der Deutschen Wirtschaft.

Betriebliches Gesundheitsmanagement immer mit einbeziehen

Immerhin 40 Prozent aller Arbeitsplätze sind nach Einschätzung des Institutes der Deutschen Wirtschaft für Home-Office geeignet. Durch mobile Breitbandanbindung an die Business-Anwendungen sowie Kollaborations- und Kommunikations-Tools lassen sich praktisch alle Büro-Jobs in heimische Gefilde verlagern.

Aber mit der Technik allein ist es nicht getan. Arbeitgeber und Arbeitnehmer brauchen einen neuen Rahmen für Heimarbeit, um Arbeitsschutz und dauerhaft auch das Wohlbefinden der Mitarbeiter im Home-Office zu gewährleisten. Bisher hat die EU mit dem European Framework Agreement on Telework bereits 2002 eine Empfehlung für betriebliche Rahmenbedingungen vorleget, die den Schutz von Telearbeitern mit Regeln sicherstellen soll. Die Leitlinien behandeln den Datenschutz, die Privatsphäre, die Arbeitsorganisation, die Gesundheit und Sicherheit, die Ausbildung und die Berufsaussichten. In einer neueren französischen Gesetzgebung wurde das »Recht auf Abschalten« in der Arbeitsgesetzgebung festgelegt. In Deutschland engagieren sich immerhin schon einige Unternehmen, die in Betriebsvereinbarungen solche Schutzregeln aufgestellt haben.

Damit solch flexible Arbeitsmodelle zum Erfolg für beide Seiten werden, müssen die Arbeitsbedingungen unter den gesetzlichen Bestimmungen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes sowie Arbeitszeitgesetz gestaltet sein. Arbeitgeber sollten sich dafür mit dem Betriebs- oder Personalrat auf eine Betriebsvereinbarung verständigen, die die betrieblichen Anforderungen und die Schutzinteressen der Arbeitsnehmer regeln. Für außertarifliche Führungskräfte ist es sinnvoll, eine Ergänzung zum Arbeitsvertrag abzuschließen, in denen auch die Regeln der Heimarbeit definiert sind. Von zentraler Bedeutung ist die regelmäßige Evaluation der getroffenen Lösungen und wie die Mitarbeiter damit in ihrem Berufsalltag klarkommen. Das Betriebliche Gesundheitsmanagement sollte bei der ergonomischen Arbeitsplatzgestaltung im Home-Office mitberaten sowie einen Ansprechpartner benennen, mit dem sich die Mitarbeiter bei Problemen besprechen können.

Fazit: Chancen für Home-Office nutzen und Risiken präventiv eingrenzen

Das aktuelle Forschungswissen zeigt, dass es mit der Einführung von einem »Recht auf Home-Office« allein nicht getan ist. Wichtiger ist, die Mitarbeiter im Umgang mit digitalen Kommunikations- und Kollaborations-Tools zu schulen und auch ein »Recht auf Nichterreichbarkeit« zu etablieren. Zudem sollten Unternehmen die sozialen Bedürfnisse zur Zusammenarbeit zwischen Telearbeitern und ihren Teamkollegen Rechnung tragen und flexibel nutzbare Arbeitsplätze und Meetingflächen bereitstellen. Bei allen neuen Konzepten darf auch der Arbeits- und Gesundheitsschutz der flexiblen Teleworker nicht zu kurz kommen. Idealer Weise wird die Umsetzung durch das Betriebliches Gesundheitsmanagement evaluiert. Unterstützen können bei der Einführung beispielsweise auch ABO Psychologen (Arbeits-, Betriebs- und Organisationspsychologen), die Mitarbeiter und Führungskräfte bei der individuellen Klärung ihres Arbeitsmodelle begleiten. Denn damit die Chancen der neuen Flexibilisierung auch zum Erfolg für Unternehmen und Mitarbeiter werden, sollten die Risiken individuell und präventiv eingehegt werden.

 


Checkliste für Arbeitgeber

  • Bereitstellung mobiler Endgeräte (Laptop, Tablet, Smartphone mit Fernwartung durch IT für die Sicherheit) sowie großer Flachbildschirm
  • Bereitstellung eines Virtual Private Netzwerks (VPN) für sicheren Zugriff auf Firmennetzwerk zur Gewährleistung der EU-Datenschutz Grundverordnung
  • Überprüfung und Beratung der ergonomischen Einrichtung des Arbeitsplatzes inklusive Beleuchtung, Heizung, Lüftung gemäß Arbeitsschutzgesetzes, Arbeitsstättenverordnung und der Bildschirmarbeitsplatzverordnung
  • Eventuell Zuschuss für ergonomischen Arbeitsstuhl und -Tisch
  • Definition der verbindlich nutzbaren Business-Anwendungen sowie Kollaborations- und Kommunikations-Tools
  • Definition der Arbeits- und Pausenzeiten gemäß Arbeitszeitgesetz
  • Klare Regelungen für Kommunikationsverhalten jenseits der regulären Arbeitszeit
  • Schulungen der Mitarbeiter zum Datenschutz, Nutzung der Kollaborations- und Kommunikations-Tools sowie Business-Anwendungen, Zeit- und Selbstmanagement
  • Bereitstellung eines Ansprechpartners zur Klärung von Problemen der Heimarbeiter bei sozialer Isolation, Blockaden oder zur individuellen Work-Life-Balance.

 Checkliste für Arbeitnehmer

  • Einen abschließbaren Raum (Datenschutz) für die ausschließliche berufliche Nutzung als Home-Office, da sonst die Kosten des Arbeitszimmers nicht von den Finanzbehörden anerkannt werden.
  • Bei Umgang mit vertraulichen Unterlagen und Daten zusätzlich ein zertifizierter Tresor
  • Eine stabile Breiband-Internetleitung mit mindestens 50 Mbit-Kapazität für Voice-over-IP-Telefonie sowie die Übertragung von Video-Konferenzen und großer Dateien
  • Klare Regelungen mit der Familie, wann und wie eine Störung möglich ist.
  • Schonungslose Selbstprüfung, ob man für die Isolation im Home-Office geeignet ist beziehungsweise, ob man mit der sozialen Interaktion über Kollaboration-Tools zurechtkommt
  • Klare Tages- und Arbeitsstrukturen zur Trennung von Familien- und Arbeitsleben in der Wohnung oder dem Haus
  • Pausen- und Kernarbeitszeiten, in den konzentriert gearbeitet oder intensiv erholt wird
  • Erarbeitung eines individuellen Ernährungs-, Sport- und Bewegungskonzeptes
  • Klare Vereinbarung zur Arbeitsleistung, Arbeitszielen und -ergebnissen
  • Wenn vom Arbeitgeber nicht gestellt, eine basale Zeiterfassung, wie lange eine definierte Arbeitsleistung dauert.

 


 

 

Markus Dohm2

 
Markus Dohm ist seit 2015 Leiter des Geschäftsbereichs Academy & Life Care bei TÜV Rheinland.
 
Der Wirtschaftswissenschaftler und Diplom-Ingenieur für Bauingenieurwesen und Umwelttechnik blickt auf einen vielfältigen Erfahrungsschatz aus unterschiedlichen Fach- und Führungspositionen in der Industrie, der
Bundeswehr und bei TÜV Rheinland zurück. Als Leiter des Geschäftsbereichs Academy & Life Care verantwortet er das globale Dienstleistungsangebot von TÜV Rheinland auf dem Gebiet des Gesundheitsmanagements, der Arbeitssicherheit und der Qualifizierung von Fach- und Führungskräften. Als führender, technisch orientierter Lerndienstleister und Dienstleister für Betriebliches Gesundheitsmanagement begleitet die TÜV Rheinland Akademie Mittelstand und Großunternehmen weltweit beim systematischen Aufbau und der Nutzung von Kompetenzen.
 
 
 
In unserer Reihe »Standpunkte« bieten wir von Zeit zu Zeit engagierten Akteuren aus den Bereichen Weiterbildung, Personalentwicklung und Wissensmanagement die Möglichkeit, sich mit einem aktuellen Thema an unsere Leser zu wenden. Unabhängig vom jeweiligen Inhalt weisen wir darauf hin, dass diese Artikel ausschließlich die Meinung des jeweiligen Autors wiedergeben und nicht zwangsläufig mit der Auffassung der Redaktion in Einklang zu bringen sind.

 

 

 

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