Agiles Management, agile Organisationsentwicklung

Katja von Bergen Ein Beitrag aus unserer »Standpunkte«-Reihe von Katja von Bergen, Bruchsal.

Die Kultur eines Unternehmens spiegelt sich auch darin wider, wie in ihm Projekte geplant, gemanagt und gesteuert werden. Deshalb kann das Agile Projektmanagement in Unternehmen seine Vorzüge nur entfalten, wenn zugleich die nötigen Lern- und Veränderungsprozesse im Umfeld der Projekte stattfinden.

Wie können wir unsere Innovations- und Reaktionsgeschwindigkeit sowie die Qualität unserer Leistung erhöhen? Diese Frage beschäftigt aktuell viele Unternehmen, weil sich ihre Märkte und die Rahmenbedingungen ihres Handelns immer schneller ändern.

Heute werden fast alle Innovationen in Unternehmen – unabhängig davon, ob es sich hierbei um neue Produkte oder Problemlösungen handelt – in oft bereichs- und teils sogar unternehmensübergreifenden Projekten geplant und realisiert. Deshalb überrascht es nicht, dass die Unternehmen, wenn es um das Erreichen besagter Ziele geht, zunächst ihre Projektarbeit auf den Prüfstand stellen und sich fragen: Wie können wir diese effektivieren?

Auch aus folgendem Grund: Aufgrund der immer vernetzteren Strukturen in den Unternehmen sowie der gestiegenen Kundenerwartungen werden ihre (IT-)Projekte stets komplexer. Und sie werden noch komplexer werden, wenn Realität wird, was aktuell unter solchen Stichworten wie Industrie 4.0 diskutiert wird. Spätestens dann werden die Fragen

  • »Wie meistern wir die steigende Komplexität?« und
  • »Wie gestalten und managen wir fortan unsere Projekte?«

für die Unternehmen erfolgsentscheidende Zukunftsfragen.

Projektmanagement neu denken

Diskutiert werden besagte Fragen aktuell meist unter dem Stichwort »Agiles Projektmanagement«. Bei dieser Diskussion geht es nicht nur darum, wie Unternehmen mit anderen Verfahrensmodellen wie Scrum, Kanban und Extreme Programming zum Beispiel ihre Software-Entwicklung effektiver gestalten können, sondern auch darum: Inwieweit kann mit einem neuen Denkansatz das Projektmanagement insgesamt auf ein neues Fundament gestellt werden?

Dabei deutet das Adjektiv »agil« bereits an, was das primäre Ziel des Agilen Projektmanagements ist: Neben der Planung soll auch die Steuerung der Projekte so dynamisch und flexibel wie möglich erfolgen, damit

  • die Innovationskraft und -geschwindigkeit der Unternehmen steigt,
  • die Effizienz und Effektivität ihrer Projekte sich erhöht und so
  • (langfristig) der Erfolg der Unternehmen gesichert wird.

Als mögliche Hebel, um diese Ziele zu erreichen, werden dabei unter anderem gesehen:

a. Eine adaptive beziehungsweise inkrementelle (Projekt-)Planung – das heißt: Statt zu Projektbeginn einen detaillierten Projektplan zu entwerfen, wird ein vorläufiger Plan erstellt, der im Verlauf des Projekts fortgeschrieben und abhängig vom jeweiligen Wissens- und Erkenntnisstand immer wieder modifiziert und optimiert wird.

b. Eine osmatische Kommunikation – das heißt: Die Kommunikation zwischen den an dem Projekt beteiligten Personen (»Kunden« und »Lieferanten«) soll möglichst direkt, also ohne Barrieren und Hindernisse wie Bereichsgrenzen erfolgen.

c. Sich selbst organisierende Teams – das heißt: Die Projektteams entscheiden selbst, wie sie sich organisieren und ob eine Führung zum Beispiel in Form eines Projektleiters nötig ist. Sie entscheiden zudem, wer wann welche Aufgabe wie durchführt. Auf eine kleinteilige Planung der Aufgaben wird bewusst verzichtet.

d. Eine enge Zusammenarbeit von Fachexperten und Entwicklern (»Kunden« und »Lieferanten«) – das heißt: Zwischen ihnen soll ein nahezu täglicher Austausch über den Stand des Projekts erfolgen, damit das wechselseitige Verstehen wächst und »Fehler« früh erkannt werden.

e. Ein iteratives Vorgehen – das heißt: Die bereits entwickelten Teile der Software (oder Problemlösung) werden so früh wie möglich ausgeliefert und erprobt, um zu überprüfen, inwieweit sie ihre Funktion erfüllen und mit der vorhandenen (IT-)Landschaft kompatibel sind.

f. Eine Fokussierung auf das übergeordnete Ziel – das heißt unter anderem: Bei der Projektarbeit gibt es keine »heiligen Kühe«. Das Vorgehen und die (Projektmanagement-)Standards werden stets daraufhin überprüft, inwieweit sie das Erreichen des Projektziels fördern.

g. Eine regelmäßige Reflektion – das heißt: Der Status Quo wird regelmäßig kritisch hinterfragt, um aus den Erfahrungen Rückschlüsse für das weitere Vorgehen zu ziehen und »Fehler« so früh wie möglich zu erkennen. Das setzt eine offene, von Vertrauen geprägte Kommunikation voraus; zudem muss ein »frühes Scheitern« beziehungsweise Sich-Eingestehen von Fehlern positiv bewertet werden, weil es die Chance eröffnet, die Weichen neu in Richtung Ziel zu stellen.

h. Ein unterstützendes, motivierendes Umfeld – das heißt: Der Nährboden für eine effektive Teamarbeit ist ein Umfeld, in dem die Projektbeteiligten Vertrauen, Wertschätzung für ihre Arbeit und die nötige Unterstützung erfahren. Einen solchen »Spirit« gilt es in der Organisation zu fördern.

Die Kultur muss passen

Inzwischen haben viele Unternehmen bereits Erfahrung mit dem Agilen Projektmanagement gesammelt. Diese lassen sich wie folgt zusammenfassen: Das Agile Projektmanagement ist weder per se gut noch schlecht. Es ist häufig ein sinnvolles Vorgehensmodell – zum Beispiel,

  • wenn ein Projekt (oder Unternehmen) in einem sehr komplexen und diffusen Umfeld angesiedelt ist und die Anforderungen nur schwer erfasst werden können und/oder sich rasch wandeln oder
  • wenn, um die bestmögliche Problemlösung zu entwickeln, Experten unterschiedlicher Provenienz sehr eng miteinander kooperieren müssen.

Keinesfalls sollte das Agile Projektmanagement jedoch selbst zu einer heiligen Kuh oder einem Allheilmittel erklärt werden, denn der Erfolg dieses Projektmanagement-Ansatzes hängt unter anderem davon ab:

  • Verfügt das Unternehmen über das nötige Know-how und Personal? Und:
  • Verträgt sich die agile Methodik mit der etablierten Unternehmens- und Führungskultur?

Speziell die Bedeutung der letztgenannten Frage wurde den Unternehmen in den vergangenen ein, zwei Jahren zunehmend bewusst. Denn komplexe Change- und Innovationsprojekte finden nie auf der grünen Wiese statt. Sie sind vielmehr in einen gewachsenen organisationalen Rahmen eingebettet, der durch gewisse Denk- und Verhaltensmuster, also eine bestimmte Kultur geprägt ist. Und mit diesem stehen die Projekte in einem interdependenten Verhältnis. Das heißt: Die (Unternehmens-)Kultur wirkt auf die Projekte zurück. Deshalb kann sich ein Agiles Projektmanagement in Unternehmen nur entwickeln, wenn zugleich im Projektumfeld ein entsprechender Lern- und Veränderungsprozess erfolgt.

Das System Unternehmen entwickeln

Vor diesem Hintergrund und aufgrund des Konkurrenz-, Innovations- und Veränderungsdrucks, der auf ihnen lastet, stellen sich gerade Unternehmen, die schon Erfahrung mit dem Agilen Projektmanagement gesammelt haben, zunehmend die Frage:

  • Genügt es unsere Projektarbeit in Richtung einer höheren Agilität zu trimmen oder
  • muss unsere gesamte Organisation so strukturiert werden, dass sie dynamischer und flexibler in ihrem Markt agiert?

Außerdem fragen sie sich: Inwieweit lassen sich die Prinzipien des Agilen Projektmanagements auf das Managen von Unternehmen übertragen? Auf dem Prüfstand stehen in diesem Kontext unter anderem

  • die Strukturen,
  • die Führung und
  • die Kultur

der jeweiligen Organisation.

Für die meisten Unternehmen gilt heute noch: Selbst wenn in ihnen die meisten Leistungen bereits in bereichs- und hierachieübergreifender Team- und Projektarbeit erbracht werden, verfügen sie noch über eine Linienorganisation. Das heißt, jeder Mitarbeiter ist genau einer Abteilung zugeordnet, die jeweils einen Leiter hat. Und die Leiter der Abteilungen koordinieren die Arbeit der Abteilungen. Das führt im Unternehmensalltag oft dazu, dass

  • ein Abteilungs- und Bereichsdenken dominiert,
  • viele Schnittstellen existieren,
  • die Informationen zwischen den Bereichen nicht ausreichend fließen und
  • diese nur bedingt miteinander kooperieren.

Abteilungen durch Kreise ersetzen?

Deshalb fragen sich zurzeit viele Unternehmen: Wäre es nicht zielführender zumindest in unseren Kernbereichen, die Arbeit anders zu strukturieren – beispielsweise in Kreisen? Das heißt: Die einzelnen Mitarbeiter sind nicht jeweils einer Abteilung zugeordnet. Sie arbeiten stattdessen abhängig von ihrer Funktion in der Organisation in mehreren Kreisen mit,

  • die jeweils ganz konkrete Aufgaben in der Organisation (oder Teilaufgaben in Projekten) haben und
  • in denen sich die Mitarbeiter zusammengefunden haben, die gemeinsam über die hierfür nötige Kompetenz verfügen.

Diese Kreise verfügen über alle Entscheidungsbefugnisse, die sie zum Erfüllen ihrer Aufgaben brauchen, wobei die relevanten Entscheidungen jeweils im Team getroffen werden. Hierzu zählt auch die Entscheidung, ob ein Kreis (zeitlich befristet) eine Führung oder Leitung benötigt – und wer diese Funktion übernimmt.

Zwischen den Kreisen gibt es in der alltäglichen Zusammenarbeit bedarfsabhängig einen regen Informationsaustausch. Dieser ist unter anderem dadurch garantiert, dass

  • die klassischen Abteilungs- und Bereichsgrenzen nicht mehr existieren und
  • es zwischen den Kreisen personelle Überschneidungen gibt – da jeder Mitarbeiter Mitglied mehrerer Kreise ist.

Außerdem entsenden die einzelnen Kreise, wenn eine enge Kooperation und Kommunikation für das Erreichen des übergeordneten Ziels nötig ist, Vertreter in andere Kreise. Das heißt, die Kreise koordinieren ihre Zusammenarbeit selbst.

 Org-AbtORkreise

Die hierarchischen Strukturen aufbrechen?

Durch eine solche Organisation zumindest der Bereiche, in denen aufgrund der Komplexität der Aufgaben eine sehr dynamische Zusammenarbeit und ein reger Informationsaustausch nötig sind, erhoffen sich die Unternehmen dreierlei:

  1. ein Aufbrechen der klassischen, pyramidalen und hierarchischen Strukturen in ihrer Organisation, so dass das Abteilungs- und Bereichsdenken überwunden wird und statt der Arbeit der einzelnen Abteilungen und Bereiche das Gesamtsystem optimiert wird – und zwar jeweils mit Blick auf die zu erfüllende Aufgabe und das übergeordnete Ziel.

  2. eine noch höhere Identifikation ihrer Mitarbeiter mit ihren Aufgaben sowie den Zielen, die es bei ihrer Arbeit zu erreichen gilt, da sie in den Kreisen zwar ihren Fähigkeiten angepasste Aufgaben, aber den gleichen Rang und die gleichen Rechte wie alle anderen Mitglieder des Kreises haben; des Weiteren, weil sie, wenn sie gewisse Dinge zum Erfüllen ihrer Aufgaben als nötig erachten, nicht mehr Vorgesetzte um Erlaubnis fragen müssen, sondern die hierfür nötigen Entscheidungen selbst – in Absprache mit den anderen Mitgliedern ihres Kreises – treffen können,

  3. eine effektivere Zusammenarbeit sowie höherwertige Ergebnisse beim Erfüllen komplexer Aufgaben wie dem Entwickeln und Realisieren komplexer, neuer Problemlösungen, da die involvierten Personen und Kreise unmittelbar miteinander kommunizieren, die Informationen zwischen ihnen fließen und sie selbst die für die bestmögliche Lösung erforderlichen Entscheidungen treffen können..

Führung neu definieren?

In einem solchen, sich weitgehend selbst steuernden System verändert sich der Charakter von Führung. Die Funktion von Führung verschiebt sich weitgehend in Richtung eines »Servant Leaders« und »Change Agents«. Das heißt, ihre Hauptfunktion besteht darin, die nötigen Rahmenbedingungen zu schaffen, damit die Kreise in der Organisation und die einzelnen Mitarbeiter in den Kreisen ihre Funktion erfüllen können und ihnen die hierfür nötige Unterstützung zu gewähren. Außerdem zählt es zu ihren Kernaufgaben, den Kreisen die Vision und Strategie zu vermitteln, so dass diese ihre Arbeit hieran orientieren können. Zudem muss Führung den Mitarbeitern und Kreisen die agilen Werte vorleben und die angestrebte Veränderung im Unternehmen vorantreiben.

Inzwischen wird das Agile Management in einer Reihe von Unternehmen (oder Teilbereichen von ihnen) praktiziert und hierbei zeigt sich immer wieder: Diese Form der Organisation setzt außer gewissen Kompetenzen bei den Mitarbeitern auch eine bestimmte Kultur voraus. Die Mitarbeiter müssen zum Beispiel über eine hohe Veränderungsbereitschaft verfügen und, weil eine langfristige Planung nicht existiert, mit Unsicherheit umgehen können; außerdem muss ihre Teamfähigkeit sehr ausgeprägt sein. Wichtig ist zudem aufgrund der flachen Hierarchie, dass für die Mitarbeiter Karriere primär persönliche Entwicklung und (Mit-)Verantwortung für bedeutsame Aufgaben/Projekte bedeutet und sich nicht an Titeln festmacht. Außerdem erfordert das Agile Management eine Unternehmenskultur, die von wechselseitigem Vertrauen geprägt ist und den Kreisen und Mitarbeitern die nötigen Entscheidungs- und Handlungsspielräume zugesteht, um die eigene Arbeit selbst zu organisieren und selbst zu entscheiden, wie das übergeordnete Ziel erreicht wird.

Eine Voraussetzung für künftige Spitzenleistungen

Ein solcher Mind-Set bei den Mitarbeitern und eine solche Kultur in der Organisation entwickeln sich nicht von heute auf morgen. Sie sind das Ergebnis einer längerfristigen Kulturarbeit (beziehungsweise Unternehmensentwicklung), die von dem Credo getragen wird: Wir wollen beziehungsweise müssen dieses Ziel erreichen, wenn wir auch künftig zu den Top-Performern in unserem Markt zählen möchten. Sofern ein Unternehmen über die hierfür nötige Ausdauer verfügt, lohnt sich jedoch ein solches Engagement – unter anderem, weil dann in der Organisation der Innovations- und Unternehmergeist entsteht, der zu Spitzen-Leistungen führt.

Zur Autorin: Katja von Bergen arbeitet als Unternehmens- und Managementberaterin für die international agierende Unternehmensberatung Dr. Kraus & Partner, Bruchsal. Die Diplom-Betriebswirtin ist auf die Themenfelder Changemanagement, Projektmanagement und Unternehmensentwicklung spezialisiert.

 

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