Bleibe-Gespräche mit Mitarbeitern führen

Joachim Schoenberger 1 Ein Beitrag aus unserer »Standpunkte«-Reihe von Joachim Schönberger, Stuttgart.

Zuweilen bekommen Führungskräfte mit, dass ein Leistungsträger das Unternehmen verlassen möchte. Dann empfiehlt es sich, mit dem Mitarbeiter ein Bleibe-Gespräch zu führen. Das ist keine leichte Aufgabe. Hierzu einige Tipps zum Vorbereiten und Führen solcher Gespräche.


Deuten Warnsignale darauf hin, dass ein wichtiger Mitarbeiter kündigen möchte, sollte sein Chef oder Vorgesetzter ein Bleibe-Gespräch mit ihm führen. Ein solches Gespräch hat drei Ziele:

1. erkunden, ob die Vermutung richtig ist, dass der Mitarbeiter das Unternehmen verlassen möchte. Und wenn ja:
2. herausfinden, wie weit sich der Mitarbeiter mental bereits vom Unternehmen entfernt hat und ob er überhaupt noch »zurückgeholt« werden kann. Und erneut, wenn ja:
3. ihn zum Bleiben motivieren.


Vorbereitung des Bleibe-Gesprächs

Vor dem Gespräch sollten Sie als Führungskraft und/oder Arbeitgeber eine Selbstanalyse durchführen und sich zum Beispiel fragen:

  • »Was habe ich als Führungskraft dazu beigetragen, dass der Mitarbeiter eventuell nicht im Unternehmen bleiben will?
  • Gab ich ihm zum Beispiel ein Versprechen und hielt es nicht?
  • Bin ich selbst überlastet und gab ich meinen Stress an den Mitarbeiter weiter?
  • Wie viel Zeit widmete ich ihm?«

Denn nicht selten sind emotionale Verletzungen der Grund, warum Mitarbeiter ein Unternehmen verlassen möchten. Und haben Sie (unbewusst) diese bewirkt, beeinflusst dies auch die Atmosphäre im Bleibe-Gespräch und seine Erfolgsaussichten.

Erst danach sollten Sie Ihren Blick auf den Mitarbeiter richten und sich fragen:

  • Welche (weiteren) Ursachen könnte eine eventuell beabsichtigte Kündigung von ihm haben?
  • Warum könnte er geneigt sein, sich eine Job-Alternative zu suchen?
  • Was weiß ich über seine Präferenzen und Ziele im Beruf sowie sein Privatleben?

Manchmal ist die Erkenntnis dieser Selbstbefragung ernüchternd – zum Beispiel, dass das Unternehmen dem Mitarbeiter keine angemessene Entwicklungsperspektive bieten kann. Oder, dass aufgrund der quälenden Zusammenarbeit in den zurückliegenden Monaten das »Tischtuch« sozusagen endgültig zerschnitten ist. Dann empfiehlt sich, den Mitarbeiter ziehen zu lassen – so schade und teuer dies aufgrund der damit verbundenen Stellenvakanz auch ist.


Einladung zum Bleibe-Gespräch

Angenommen dies ist nicht der Fall. Dann sollten Sie den Mitarbeiter zu einem Bleibe-Gespräch einladen. Sprechen Sie diese Einladung auf keinen Fall spontan oder en passant auf dem Flur oder in der Kantine aus. Am besten gehen Sie zu ihm, wenn er alleine ist, und bitten ihn, um ein persönliches Gespräch.

Vermutlich fragt er daraufhin: »Warum?«. Nennen Sie den Anlass nicht. Erwidern Sie stattdessen zum Beispiel mit einem freundlichen Lächeln »Nichts Schlimmes, doch darüber würde ich gerne in Ruhe mit Ihnen unter vier Augen sprechen« und vereinbaren Sie hierfür einen Termin.

Das Bleibe-Gespräch sollte in einem Raum geführt werden, der Ruhe und Vertraulichkeit gewährleistet. Und nehmen Sie sich hierfür Zeit, denn solche Gespräche nehmen oft einen unverhofften Verlauf. Zum Beispiel, wenn der Beschäftigte »auspackt« und Ihnen Dinge erzählt, die Sie zuvor nicht wussten.


Das Gespräch beginnen

Teilen Sie zu Beginn des Bleibe-Gesprächs dem Mitarbeiter zunächst Ihre Gedanken und Befürchtungen kurz mit. Denn der Mitarbeiter kennt den Gesprächsanlass ja noch nicht. Reden Sie dabei nicht um den heißen Brei. Vermeiden Sie lange Vorreden und Smalltalk, kommen Sie gleich zum Thema.

Beginnen Sie das Gespräch jedoch keinesfalls mit einer Aussage wie »Ich habe gehört, dass Sie erwägen, das Unternehmen zu verlassen«, denn dann fragt der Mitarbeiter fast automatisch zurück: »Von wem?«. Und schon sind Sie in Teufels Küche. Einfach ist der Einstieg, wenn der Mitarbeiter um ein Zwischenzeugnis bat. Denn dahinter steckt in der Regel der Wunsch, sich beruflich zu verändern.

Ansonsten empfiehlt es sich, mit einer Ich-Aussage ins Gespräch einzusteigen, also zum Beispiel folgenden Sätzen:

  • »Ich hatte in der letzten Zeit den Eindruck, dass Sie sich zurückziehen. Deshalb befürchte ich, dass Sie sich mental von uns verabschieden.« Oder:
  • »Ich musste Ihnen in den letzten Monaten primär stressige Aufgaben übertragen. Deshalb befürchte ich, dass sich bei Ihnen Unzufriedenheit angestaut hat und Sie erwägen könnten, das Unternehmen zu verlassen.« Oder:
  • »Unser Unternehmen ist zurzeit in einem großen Umbruch. Deshalb befürchte ich, dass Sie den Eindruck haben könnten, Ihr Arbeitsplatz bei uns sei nicht sicher und Sie sich deshalb nach einer Job-Alternative umschauen könnten.«

Starten Sie also mit einer Ich-Aussage und äußern Sie dann Ihr Bedauern, falls Ihre Befürchtungen zuträfen: »Das fände ich schade, weil ich Sie als Mitarbeiter und Mensch sehr schätze und deshalb gerne halten möchte.«

Warten Sie anschließend, auch wenn es Ihnen schwer fällt, ab, bis der Mitarbeiter antwortet und hören Sie ihm geduldig zu, was er Ihnen zu sagen hat. Stellen Sie maximal Verständnis-Fragen.


Mögliche Mitarbeiter-Reaktionen

Auf den Vorstoß von Ihnen, gibt es vier mögliche Mitarbeiter-Reaktionen:

Reaktion 1: Der Mitarbeiter versichert Ihnen glaubhaft, dass Ihre Befürchtungen unbegründet sind.
Dann hat sich das Bleibe-Gespräch eigentlich erledigt. Trotzdem sollten Sie die Chance nutzen, um Ihre Mitarbeiter-Beziehung auf eine noch solidere Basis zu stellen. Zum Beispiel, indem Sie sagen: »Das freut mich. Trotzdem bitte ich Sie künftig, wenn Sie irgendetwas an Ihrer Arbeit stört, das Gespräch mit mir zu suchen. Denn wie bereits gesagt: Sie sind mir als Mitarbeiter wichtig.«

Was Sie in Bleibe-Gesprächen nicht tun sollten

Folgende Verhaltensweisen sind in Bleibe-Gesprächen meist kontraproduktiv, weshalb Sie sie vermeiden sollten:

1. Reden Sie selbst nicht zu viel. Hören Sie stattdessen aufmerksam zu.

2. Machen Sie keine Vorwürfe und kritisieren Sie den Mitarbeiter nicht. Denn ein Bleibe-Gespräch ist kein guter Zeitpunkt, um dem Mitarbeiter den Kopf zu waschen.

3. Drängeln Sie nicht und planen Sie Pufferzeit ein. Denn es kann plötzlich viel Redebedarf geben.

4. Machen Sie keine spontane Angebote – etwa neue Aufgaben, höheres Gehalt oder Einrichtung eines Home-Office.

5. Machen Sie keine (persönlichen) Zusagen, die Sie nicht sicher halten können – wie zum Beispiel: »Ich werde Sie künftig immer informieren, wenn ...« oder »Sie werden künftig nie mehr...«.
Denn bei unrealistischen Versprechen sind künftige Konflikte vorprogrammiert.

Reaktion 2: Der Mitarbeiter betont, Ihre Befürchtungen seien unbegründet.
Sie glauben ihm jedoch zum Beispiel aufgrund seiner Körpersprache nicht. Dies ist in Bleibe-Gesprächen oft der Fall. Denn wechselwillige Mitarbeiter sprechen in der Regel ungern mit ihrem Chef über ihre Wechselabsicht, solange sie noch keine Job-Alternative haben. Auch dann sollten Sie betonen, dass Sie sich hierüber freuen, weil der Mitarbeiter Ihnen wichtig ist. Danach sollten Sie das Gespräch wie ein normales Mitarbeitergespräch weiterführen zum Beispiel, indem Sie sagen: »Davon unabhängig, würde mich interessieren, wie zufrieden Sie mit Ihrer Arbeit sind? Können Sie sich in ihr verwirklichen?« Das Ziel hierbei: Die potenziellen Gründe, warum der Mitarbeiter einen Arbeitgeberwechsel erwägen könnte, zu erkunden, um diese dann eventuell aufzulösen.

Reaktion 3: Der Mitarbeiter sagt, er erwäge es, den Arbeitsgeber zu wechseln.
Dann sollten Sie dem Mitarbeiter zunächst für seine Offenheit danken und zum Ausdruck bringen, dass Sie dies als einen Vertrauensbeweis von ihm sehen und entsprechend mit dieser Information umgehen werden. Danach sollten Sie sich detailliert nach den Motiven für den angedachten Wechsel erkundigen, bevor Sie ihn fragen: »Was kann ich beziehungsweise kann das Unternehmen tun, damit Sie bleiben – denn wie bereits gesagt: Sie sind ein wertvoller Mitarbeiter?«

Die Wunschliste des Mitarbeiters können Sie als dessen Chef oder Vorgesetzter aufnehmen und vorsichtig kommentieren, wenn ein Aspekt unmöglich erfüllt werden kann. In der Praxis zeigt sich: Mangelnde Wertschätzung, eine schlechte Team- und Arbeitsatmosphäre sowie mangelnde Befriedigung bei der Arbeit sind, wenn es um das Halten und Binden insbesondere hochqualifizierter Mitarbeiter geht, meist größere Probleme als die Höhe des Gehalts – auch wenn Führungskräfte oft das Gegenteil betonen. Mit ein, zwei Geldscheinen mehr, kann man speziell intrinsisch motivierte Mitarbeiter, die auch Erfüllung in ihrer Arbeit suchen, nicht langfristig binden.

Reaktion 4: Der Mitarbeiter sagt, er sei fest entschlossen, den Job beziehungsweise Arbeitgeber zu wechseln.
Auch dann sollten Sie dem Mitarbeiter zunächst für seine Offenheit danken und seine Motive hierfür erkunden. Zuweilen gibt es hierfür persönliche Gründe: Zum Beispiel ein Arbeitnehmer hat sich unsterblich verliebt und möchte deshalb in eine andere Stadt ziehen. Dann können Sie ihm eigentlich nur gratulieren und alles Gute wünschen. Anders ist es, wenn ein Mitarbeiter zum Beispiel sagt, ein Familienmitglied sei ein dauerhafter Pflegefall geworden oder er selbst habe gesundheitliche Probleme, weshalb er seinen herausfordernden Job auf Dauer nicht mehr machen könne oder wolle. Dann haben Sie in der Regel nur die Alternative, ihn ziehen zu lassen oder mit ihm auszuloten, welche Job-Alternativen es in der eigenen Organisation gibt.

Anders ist die Situation, wenn der Grund für den geplanten Wechsel in der aktuellen Arbeitssituation begründet ist. Zum Beispiel im schlechten Arbeitsklima. Oder der hohen Arbeitsbelastung. Oder den wenig befriedigenden Arbeitsinhalten. Oder der schlechten Bezahlung und den geringen Aufstiegs- und Entwicklungschancen. Dann hat sich, wenn ein Mitarbeiter offen sagt »Ich gehe«, obwohl er noch keinen neuen Job hat, meist schon viel Frust und Enttäuschung bei ihm aufgestaut. Entsprechend schwer ist es, den Mitarbeiter, noch zum Bleiben zu bewegen. Trotzdem sollten Sie es bei wertvollen Mitarbeitern versuchen – selbst wenn Sie dann oft mit einer massiven Kritik an Ihrem Führungsstil und -verhalten rechnen müssen, denn Unzufriedenheit mit dem Vorgesetzten ist ein sehr häufiger Grund für einen Arbeitgeberwechsel (bis zu 68 Prozent).

Fragen Sie also auch in dieser Situation den Mitarbeiter nach seinen Wechselmotiven – auch auf die Gefahr hin, dass sich dann zunächst ein Schwall von aus Ihrer Warte unberechtigten oder überzogenen Beschwerden und Beschuldigungen über Sie ergießt. Hören Sie sich diese ruhig und geduldig an, und sagen Sie dann zum Beispiel: »Ich merke, bei Ihnen hat sich mit der Zeit eine Menge Unmut und Frust angestaut.« Vermutlich erwidert der Mitarbeiter daraufhin »ja«, woraufhin Sie zum Beispiel sagen können: »Es tut mir leid, dass ich dies nicht früher registriert und darüber mit Ihnen gesprochen habe. Denn für mich sind Sie ein wertvoller Mitarbeiter, und ich würde deshalb gerne weiter mit Ihnen zusammenarbeiten. Unter welchen Voraussetzungen könnten Sie sich vorstellen, Ihre Entscheidung zu überdenken?«

Versuchen Sie also, nachdem der Mitarbeiter Dampf abgelassen hat, das Gespräch in ein ruhigeres Fahrwasser zu lenken – unter anderem, indem Sie Ihrem Gegenüber Ihre Wertschätzung als Mitarbeiter und Mensch signalisieren. Danach sollten Sie versuchen, mit dem Mitarbeiter herausarbeiten, unter welchen Voraussetzungen er sich vorstellen könnte, dem Unternehmen treu zu bleiben und inwieweit diese Bedingungen von Ihnen beziehungsweise dem Unternehmen erfüllbar sind.


Einen Folgetermin vereinbaren

Hierüber eine Einigung zu erzielen. ist in einem Gesprächstermin oft nicht möglich – sei es, weil Sie zum Beispiel mit Kollegen oder Vorgesetzten noch darüber sprechen müssen, inwieweit gewisse Wünsche, Erwartungen erfüllbar sind. Oder weil der Mitarbeiter auf Ihre Frage, unter welchen Bedingungen er sich ein Bleiben vorstellen könnte, noch keine Antwort weiß oder über die Möglichkeiten nochmals mit seinem Lebenspartner sprechen möchte. Dann sollten Sie gegen Ende des Gesprächs als positives Gesprächsergebnis zunächst festhalten »Schön, wir sind beide noch gesprächsbereit«. Danach sollten Sie in einem Ergebnisprotokoll, das beide unterschreiben, festlegen, wer was bis wann mit welchem Ziel tut, und einen Termin vereinbaren, bei dem sie sich erneut zusammensetzen, um zu einem Agreement zu gelangen.

Nicht selten lassen sich durch ein solches Vorgehen, Mitarbeiter, die einen Arbeitgeberwechsel erwägen oder sich mental hierfür bereits entscheiden haben, auch emotional wieder ans Unternehmen binden. Deshalb lohnt sich ein solcher Versuch nicht nur in Zeiten, in denen gute Mitarbeiter rar sind. Denn durch jede ungeplante Kündigung entstehen einem Unternehmen hohe Folgekosten. Weniger entscheidend sind hierbei meist die Kosten für die Personalsuche und -auswahl. Viele gravierender sind die sogenannten Chaos-Kosten, die dadurch entstehen, dass bei einer längeren Vakanz von Schlüsselpositionen, wichtige Aufgaben oft liegen bleiben und der Neue erst eingearbeitet werden muss.


Die Kündigung liegt schon auf dem Tisch

Bleibe-Gespräche können Sie mit Mitarbeitern übrigens auch noch führen, wenn deren Kündigung bereits auf dem Tisch liegt. Das ist gerade in Zeiten, in denen gute Fach- und Führungskräfte rar und begehrt sind, nicht selten zielführender als sogleich eine aufwändige Suche nach einem neuen Mitarbeiter zu starten. Doch dann müssen Sie in der Regel dem Mitarbeiter deutlich mehr bieten, als wenn er noch keine neue Stelle gefunden hat, damit er sich seine Entscheidung nochmals überlegt. Zu Recht, denn dann haben Sie offensichtlich im Vorfeld die Signale »Der Mitarbeiter ist auf dem Sprung« nicht erkannt. Ansonsten läge die Kündigung nicht auf dem Tisch.

   


Joachim Schoenberger 2

 
Joachim Schönberger arbeitet als Personalentwickler, Coach und Betrieblicher Gesundheitsberater für die Personalberatung Conciliat, Stuttgart.
 

 

 
 
 
 
 
In unserer Reihe »Standpunkte« bieten wir von Zeit zu Zeit engagierten Akteuren aus den Bereichen Weiterbildung, Personalentwicklung und Wissensmanagement die Möglichkeit, sich mit einem aktuellen Thema an unsere Leser zu wenden. Unabhängig vom jeweiligen Inhalt weisen wir darauf hin, dass diese Artikel ausschließlich die Meinung des jeweiligen Autors wiedergeben und nicht zwangsläufig mit der Auffassung der Redaktion in Einklang zu bringen sind.

 

 

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