Umfrage über geschlechtsbezogene Gewalt in 46 Hochschulen und Forschungseinrichtungen in Europa

UniSAFE

Fast zwei von drei Mitarbeitenden und Studierenden, die an der UniSAFE-Umfrage teilgenommen haben, haben seit Beginn ihrer Tätigkeit an ihrer Einrichtung mindestens eine Form von geschlechtsbezogener Gewalt erlebt.

Von Januar bis Mai 2022 nahmen Mitarbeiter:innen und Studierende aus 46 Hochschulen und Forschungseinrichtungen in Europa an der UniSAFE-Umfrage zum Thema geschlechtsbezogene Gewalt in der Wissenschaft teil.

Mit mehr als 42.000 Antworten ist es die größte mehrsprachige Umfrage, die bisher im Europäischen Forschungsraum zu diesem Thema durchgeführt wurde. Sie wurde von GESIS - Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften in enger Zusammenarbeit mit der Oxford Brookes University und der Örebro University im Rahmen des EU-Projekts UniSAFE, einer Forschungskooperation zwischen neun europäischen Partnereinrichtungen, ausgeführt.

EIN UMFASSENDES VERSTÄNDNIS VON GESCHLECHTSBEZOGENER GEWALT

Ein wichtiges Merkmal dieser Umfrage ist ihr ganzheitlicher Ansatz zur Untersuchung geschlechtsbezogener Gewalt. Die Umfrage konzentrierte sich auf die Erfassung von sechs unterschiedlichen Formen von geschlechtsbezogener Gewalterfahrungen, körperlich, sexuell, psychologisch oder wirtschaftlich, sowie auf Online-Formen von geschlechtsbezogener Gewalt.

Die Studie schloss intersektionale Aspekte bezogen auf die Gewalterfahrungen der Befragten ein, wie z.B. ihre sexuelle Orientierung, ihr Alter, Zugehörigkeit zu Minderheiten, Behinderung oder chronische Erkrankung, sowie internationale Mobilität. Die Auswirkungen von Gewalterfahrungen wurden in Bezug auf das Wohlbefinden, den Beruf und das Studium der Befragten untersucht.

»Geschlechtsbezogene Gewalt ist ein systemisches Problem, das wissenschaftliche Einrichtungen nicht weniger betrifft als andere Teile der Gesellschaft. Die Daten, die wir mit der Prävalenzumfrage gesammelt haben, zeigen deutlich, dass geschlechtsbezogene Gewalt überall und gegenüber allen Geschlechtern vorkommt. Unser Datensatz trägt dazu bei, das Ausmaß und die Auswirkungen des Problems in der Wissenschaft besser zu verstehen. Die mit dem Projekt kooperierenden Universitäten haben einen wichtigen Schritt getan, indem sie Offenheit für eine evidenzbasierte Entwicklung von Maßnahmen zeigen. Ich freue mich sehr, dass wir mit der Umfrage diese datengestützte Entwicklung fördern können.«
Dr. Anke Lipinsky, GESIS - Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften, PI der UniSAFE-Umfrage
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FAST ZWEI VON DREI BEFRAGTEN HABEN GESCHLECHTBEZOGENE GEWALT ERLEBT

Insgesamt zeigen die Ergebnisse, dass 62 % der befragten Personen mindestens eine Form von geschlechtsbezogener Gewalt erlebt haben, seit sie an ihrer Einrichtung arbeiten oder studieren. Frauen (66 %) und nicht-binäre Menschen (74 %) haben häufiger als Männer alle Formen geschlechtsbezogener Gewalt erlebt, mit Ausnahme von körperlicher Gewalt, die von mehr nicht-binären Menschen und Männern angegeben wurde.

Darüber hinaus haben Personen, die sich als LGBQ+ identifizieren (68 %), die eine Behinderung oder chronische Krankheit angeben (72 %) und die einer ethnischen Minderheit angehören (69 %), mit größerer Wahrscheinlichkeit mindestens einen Vorfall geschlechtsbezogener Gewalt erlebt als Befragte, auf die diese Merkmale nicht zutreffen.

»Ich wusste, dass es viele Menschen gibt, die geschlechtsbezogene Gewalt erfahren haben, aber das Ausmaß des Problems hat mich wirklich überrascht: Etwa zwei von drei Befragten gaben an, dass sie mindestens eine Form von geschlechtsbezogener Gewalt erlebt haben. Ich hatte auch erwartet, dass nicht-binäre Menschen und Menschen aus den LGBQ+-Gemeinschaften unverhältnismäßig stark betroffen sein würden. Mit einer so großen Zahl von Antworten auf diese Umfrage können wir nun Daten und Beweise liefern, die zur Bekämpfung des Problems genutzt werden können."
Professor Anne Laure Humbert, Director of Centre for Diversity Policy Research and Practice at Oxford Brookes University.

EINE PERSON VON DREIEN HAT SEXUELLE BELÄSTIGUNG ERLEBT

Psychische Gewalt wird in der Umfrage als die häufigste Form von Gewalt angegeben (57 %). Darüber hinaus gibt fast jede dritte Person unter den Studierenden und Mitarbeitenden an, in ihrer, bzw. seiner Einrichtung sexuelle Belästigung erlebt zu haben (31 %), während 6 % der Befragten körperliche Gewalt und 3 % sexuelle Gewalt erlebt haben. Einer von zehn Befragten gab an, dass die Arbeit oder das Studium durch ökonomische Gewalterfahrungen beeinträchtigt wurde.

GERINGE MELDENEIGUNG ÜBER VORFÄLLE GESCHLECHTSBEZOGENER GEWALT

Von den Befragten, die geschlechtsbezogene Gewalt erlebten, meldeten dies nur 13 %. Fast die Hälfte der Betroffenen (47 %) erklärte, dass sie sich unsicher fühlten, ob das erlebte Verhalten schwerwiegend genug war, um es zu melden. Ein weiterer häufiger Grund, der von 31 % der Betroffenen angegeben wurde, ist, dass sie das übergriffige Verhalten zum Zeitpunkt des Vorfalls nicht als Gewalttat erkannt haben.

TEILNEHMENDE ORGANISATIONEN

Die Online-Umfrage von UniSAFE- wurde unter Mitarbeitenden und Studierenden (ab 18 Jahren) an 46 Hochschulen und Forschungseinrichtungen in 15 Ländern durchgeführt: Belgien, Tschechische Republik, Finnland, Frankreich, Deutschland, Island, Irland, Italien, Litauen, Polen, Serbien, Spanien, Schweden, Türkei und Vereinigtes Königreich sowie unter einer internationalen Vereinigung von Forschenden. Diese Einrichtungen sind alle auf freiwilliger Basis am UniSAFE-Projekt beteiligt und bemühen sich gemeinsam darum, geschlechtsbezogene Gewalt zu verringern.

Hintergrund
UniSAFE zielt darauf ab, Hochschulen, Forschungseinrichtungen und politische Entscheidungsträger*innen bei der Beseitigung von geschlechtsbezogener Gewalt im Europäischen Forschungsraum zu unterstützen. Das Projekt liefert fundiertes Wissen über geschlechtsbezogene Gewalt in Forschungseinrichtungen und Hochschulen, indem es die Mechanismen geschlechtsbezogener Gewalt, einschließlich sozialer Bedingungen, Vorstufen und Auswirkungen auf nationaler, organisatorischer und individueller Ebene untersucht. Die anonymisierten Daten aus der Umfrage werden zusammen mit den Ergebnissen aus ausführlichen Interviews mit Nachwuchsforschenden, einer Reihe von institutionellen Fallstudien sowie einer Bewertung des politischen und rechtlichen Rahmens genau analysiert. Diese Informationen fließen in die Entwicklung einer Multilevel-Analyse ein, die im Dezember 2022 veröffentlicht wird. Bis Herbst 2023 wird das Projekt zu einer Reihe von politischen Empfehlungen und operativen Instrumenten führen, die von Hochschul- und Forschungseinrichtungen aufgegriffen werden können.


 

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