Jugendarbeitslosigkeit in Europa könnte auf 25 Prozent steigen

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Die neue Studie »Youth Unemployment in Times of Crises in the EU 27« des FiBS Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialökonomie untersucht die Jugendarbeitslosigkeit in der EU in der Folge der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/09 und verknüpft diese mit einer ersten Schätzung, wie die Jugendarbeitslosigkeit nach der Corona-Krise zunehmen könnte. Demnach könnte die Arbeitslosigkeit von Geringqualifizierten sogar die 40-Prozent-Marge überschreiten, allerdings erst Mitte der 2020er Jahre.

Weiterhin wird die Arbeitslosigkeit von Männern möglicherweise höher sein als die von Frauen. Die Jugendarbeitslosigkeit stand während und nach der letzten Finanzkrise vor mehr als zehn Jahren ganz oben auf der Agenda: Sie stieg von 15 Prozent im Jahr 2008 auf 19 Prozent und erreichte ihren Höhepunkt mit fast 24 Prozent im Jahr 2013. Erst vor kurzem erlangte sie wieder den Stand vor der Krise. Die Jugendarbeitslosigkeit ist doppelt so hoch wie die Gesamtarbeitslosigkeit.

Arbeitslosigkeit unter gering qualifizierten jungen Erwachsenen besonders hoch

Geringqualifizierte junge Arbeitnehmer waren sogar noch stärker betroffen: Ihre Quoten überstiegen im Durchschnitt die 30-Prozent-Marge für die EU, während die Quoten bei jungen Männern noch höher waren als die junger Frauen. Zudem liegt die Arbeitslosigkeit bei den Geringqualifizierten immer noch über dem Ausgangsniveau von 2008. Eine Überprüfung der Beschäftigungsentwicklung ergab, dass das Beschäftigungswachstum in männlich dominierten Branchen weniger positiv war als in geschlechterausgewogenen oder weiblich dominierten Sektoren. Dies ist neben dem im Durchschnitt besseren Qualifikationsniveau von Frauen ein weiterer Grund, warum die Arbeitslosigkeit von Frauen etwas geringer ist als die von Männern.

Die Verwendung dieser früheren Erfahrungen als Basis für die gegenwärtige Corona-Krise lässt vermuten, dass die Arbeitslosenzahlen in den kommenden Jahren wahrscheinlich noch höher ausfallen werden, da der anfängliche Effekt auf die BIP-Wachstumsraten bei etwa 50 Prozent liegt als vor zehn Jahren (-8,5 Prozent gegenüber -4,1 Prozent). Dies lässt die folgenden Entwicklungen erwarten:

Jugendarbeitslosigkeit nach Corona höher als nach Finanzkrise

Der wirtschaftliche Abschwung wird mit strukturellen Veränderungen innerhalb der Wirtschaft verbunden sein und die Unternehmen werden die Digitalisierung und Automatisierung vorantreiben. Diese Entwicklung wird den Wandel hin zum Dienstleistungssektor und zu mittleren und höheren Qualifikationen weiterhin vorantreiben. Arbeitsplätze für gering qualifizierte werden verstärkt abgebaut, was zu höheren Arbeitslosenquoten für solche Qualifikationen führt, während die Beschäftigung von Mittel- und Höherqualifizierten zunimmt. Junge Menschen profitieren einerseits weniger von Beschäftigungswachstum und sind andererseits stärker vom Verlust von Arbeitsplätzen beeinträchtigt. Zudem benötigen sie längere Ausbildungszeiten, um sich besser zu qualifizieren. Das heißt, der Fokus auf die Jugendarbeitslosigkeit hat auch eine statistische Komponente, weswegen die Jugendarbeitslosigkeitsrelation (youth unemployment ratio) ein besserer Indikator zur Messung der Jugendarbeitslosigkeit ist als die Jugendarbeitslosenrate (youth unemployment rate). Folgt man der Jugendarbeitslosigkeitsrelation (ratio), dann ist die Quote nur noch zwei Prozentpunkte höher als die allgemeine Arbeitslosenquote.

Junge Männer stärker betroffen als Frauen

Übersetzt man diese empirischen Belege in ein Zukunftsszenario, dann steht zu befürchten, dass sowohl die Jugendarbeitslosigkeit als auch die Gesamtarbeitslosigkeit nach der Corona-Krise wahrscheinlich noch höher sein wird als während der vorangegangenen Krise. »Die Arbeitslosenquote der Geringqualifizierten wird wahrscheinlich die 40-Prozent-Marke überschreiten,« sagt FiBS-Direktor Dr. Dieter Dohmen. »Das sind fast 10 Prozentpunkte mehr als bei der letzten Wirtschaftskrise. Demgegenüber wird die Arbeitslosigkeit der mittel- und hochqualifizierten Jugendlichen voraussichtlich unter der 20-Prozent-Marke bleiben. Aufgrund der strukturellen wirtschaftlichen Verlagerung von der Landwirtschaft, dem Baugewerbe und der verarbeitenden Industrie in den Dienstleistungssektor dürften junge Männer stärker betroffen sein als Frauen«.

Dieses Szenario hat wichtige Auswirkungen auf die allgemeine und berufliche Bildung: Das Berufsbildungssystem sollte sich stärker auf Berufe im Dienstleistungssektor ausrichten, anstatt sich so stark auf die Bau- und verarbeitende Wirtschaft zu konzentrieren. Da zudem Berufsbildungssysteme, die sich stark auf das Engagement der Unternehmen stützen, wie das deutsche duale System, sogar noch stärker betroffen sein dürften als schulische Systeme, wirft dies die grundsätzliche Frage nach der Ausrichtung der Berufsbildung auf. Dies gilt auch dann noch, wenn die praxisorientierte Berufsbildung mit einer besseren Berufsvorbereitung und höheren Einmündungschancen in eine nachfolgende Beschäftigung einhergehen sollte. Ein sehr wichtiger Aspekt ist es, die Zahl und den Anteil der SchulabbrecherInnen und Geringqualifizierten mit einem Bildungsabschluss der unteren Sekundarstufe zu reduzieren und ihnen passgenauere Angebote für den Erwerb eines allgemein- oder berufsbildenden oberen Sekundarabschlusses zu machen. Dies kann zum Beispiel durch die Einführung praxisorientierterer Wege in der Allgemeinbildung und/ oder mithilfe neuer Lernformen, zum Beispiel durch den Einsatz von Serious Games erreicht werden.

 

 

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