Führungskräfte sind keine Coaches

Standpunkte

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Sabine Prohaska2Ein Beitrag aus unserer »Standpunkte«-Reihe von Sabine Prohaska, Wien.

In der modernen Arbeitswelt stehen die Mitarbeiter immer häufiger vor neuen Aufgaben und Herausforderungen. Bei deren Bewältigung benötigen sie in der Regel eine fachliche und mentale Unterstützung. Deshalb fordern viele Unternehmen: Unsere Führungskräfte müssen ihre Mitarbeiter coachen. Dies ist nur bedingt möglich.

Firmenalltag. Führungskraft Huber erteilt Mitarbeiter Frantz eine neue Aufgabe – zum Beispiel das Vertriebskonzept für ein neues Produkt zu entwerfen. Kurz unterhalten sich Huber und Frantz darüber, welche Ziele dabei zu erreichen sind – zum Beispiel in zwei Monaten 50 Kunden für das neue Produkt gewinnen. Dann kehrt Führungskraft Huber an ihren Schreibtisch zurück und widmet sich anderen Aufgaben. Entspannt! Denn Mitarbeiter Frantz bewies schon oft, dass man auf ihn bauen kann.

Wochen vergehen. Und immer wieder fragt Führungskraft Huber Herrn Frantz, wenn er ihn trifft: »Wie läuft’s?« Dessen Antwort: »bestens«. Also fragt Huber nicht weiter nach. Denn er ist überzeugt: Der Frantz hat die Sache im Griff.

Doch dann naht der Termin, an dem die Aufgabe erledigt und die vereinbarten Ziele erreicht sein sollen. Und zunehmend macht sich bei Mitarbeiter Huber Nervosität breit. Immer häufiger erzählt er von »Problemen, die sich ergaben«. Und wenige Tage, bevor der Job erledigt sein soll, gesteht er seinem Chef: »Ich schaffe es nicht«. Und der fragt entsetzt: »Warum haben Sie mich nicht früher informiert? Dann hätten wir noch gegensteuern können«. Doch dafür ist es nun zu spät.

Das Coachen ist meist ein Anleiten

Wer ist für das Scheitern verantwortlich? Der Mitarbeiter oder die Führungskraft? Beide! Die Hauptverantwortung trägt jedoch die Führungskraft. Denn sie lotete nicht aus: Findet mein Mitarbeiter alleine einen geeigneten Lösungsweg oder braucht er Unterstützung? Also konnte Huber diese seinem Mitarbeiter auch nicht gewähren. Die Führungskraft überprüfte zwischenzeitlich auch nicht, ob sich ihr Mitarbeiter noch »auf Kurs« befindet, um – sofern nötig – korrigierend einzugreifen. Sie nahm also eine Kernaufgabe jeder Führungskraft nicht wahr, nämlich ihre Mitarbeiter bei deren Arbeit anzuleiten – zumindest bei Aufgaben, bei denen ihnen noch keine Routine und wenig Erfahrung haben.

Dieses Anleiten ist heute verpönt. Stattdessen wird in Führungsseminaren häufig über das Thema Coaching referiert. Dabei reduziert sich das Coachen im Betriebsalltag weitgehend auf ein Anleiten der Mitarbeiter – zumindest dann, wenn der Coach zugleich der disziplinarische Vorgesetzte der Mitarbeiter ist. Denn als disziplinarischer Vorgesetzter entscheidet eine Führungskraft auch weitgehend über deren berufliches Fortkommen. Das wissen die Mitarbeiter. Deshalb ist ihr Verhalten gegenüber ihren Vorgesetzten stets auch von taktischen Erwägungen geprägt. Kaum ein Mitarbeiter würde zum Beispiel, solange er keine Job-Alternative hat, offen zu seinem Chef sagen »Meine Arbeit macht mir keinen Spaß«. Oder: »Ich bin überfordert«. Zu Recht! Denn zu viel Offenheit schadet dem beruflichen Fortkommen.

Die Beziehung zwischen Führungskraft und Mitarbeiter ist keine familiäre. Ein Vater fördert seine Kinder, damit aus ihnen Persönlichkeiten werden, die ihr Leben mit Erfolg gestalten. Anders ist dies bei einer Führungskraft. Sie fördert ihre Mitarbeiter primär, um zu erreichen, dass diese mehr Leistung erbringen – ihre Beziehung ist primär eine funktionale.

Das steckt der Coachingfunktion von Führungskräften enge Grenzen. Sie beschränkt sich weitgehend darauf, die Mitarbeiter bei ihrer Arbeit anzuleiten. Doch das Anleiten hat in Managementkreisen einen eher schlechten Ruf – denn Anleiten wird heute häufig mit Anweisen gleichgesetzt. Doch Anleiten bedeutet nicht, anderen Personen Befehle »Tue dies« und »Tue das« zu erteilen, sondern ihnen auch die nötigen Hilfestellungen zu geben – seien diese fachlicher oder mentaler Art.

Ziel: Lernprozesse initiieren und begleiten

Hinzu kommt: Die Funktion »Anleiten« wird heute weitgehend mit dem Bereich Ausbildung assoziiert. Zu unrecht! Denn was tut ein »Anleiter«? Er gibt seinen Schützlingen, wenn sie vor neuen Aufgaben stehen, nicht die Lösung vor. Er fragt sie vielmehr: »Wie würdet ihr diese Aufgabe angehen?« Er motiviert sie also, eigene Lösungsvorschläge zu entwerfen. Und zeigt sich dabei, dass sie Unterstützung brauchen? Dann gibt er ihnen Hilfestellungen, bevor er sich mit ihnen auf einen Lösungsweg verständigt. Doch damit ist sein Job noch nicht erledigt. Er fragt vielmehr beim Umsetzen immer wieder nach »Gibt es Probleme?«, »Was habt ihr zwischenzeitlich erreicht?«, um bei Bedarf korrigierend oder unterstützend einzugreifen. Denn sonst ist weder sichergestellt, dass die gewünschten Ergebnisse erzielt werden, noch dass bei den Schützlingen die gewünschten Lernprozesse stattfinden.

Eine solche Unterstützung und Begleitung brauchen auch berufserfahrene Arbeitskräfte – zumindest bei Aufgaben, mit deren Lösung sie noch wenig Erfahrung haben. Und diese ihnen zu gewähren, ist eine Führungsaufgabe. Denn sonst bleibt es weitgehend dem Zufall überlassen, welche Arbeitsergebnisse erzielt werden. Und die Führungskraft kann am Ende nur konstatieren: Die Ziele wurden nicht erreicht.

Ein Praxisbeispiel

Hierfür ein Beispiel. Angenommen Kundenbetreuer Frantz, der bisher Aufträge abwickelte, soll künftig Neukunden akquirieren. Dann genügt es nicht, wenn sein Chef, Vertriebsleiter Huber, zu ihm sagt »Herr Frantz, machen Sie das mal« und ihm eventuell noch das Ziel vorgibt: »Bis Ende Juni, also in drei Monaten, müssen Sie zehn Neukunden haben«. Denn dann ist nicht sicher gestellt, dass Herr Frantz seine neue Aufgabe adäquat wahrnimmt und das definierte Ziel erreicht. Das kann Vertriebsleiter Huber im Extremfall den Job kosten. Denn seine Leistung wird von seinen Chefs an der Leistung seiner Mitarbeiter gemessen. Ausflüchte wie »Mein Mitarbeiter Frantz war überfordert« akzeptieren sie nicht, wenn Hubers Bereich das vorgegebene (Vertriebs-)Ziel verfehlt.

Was sollte Vertriebsleiter Huber also tun? Er sollte, wenn er seinem Mitarbeiter die neue Aufgabe überträgt, sich mit ihm zusammensetzen und erarbeiten:

Das Ergebnis könnte sein: Wenn wir bis Ende Juni zehn Neukunden gewinnen möchten, müssen wir bis Ende April mindestens 100 Unternehmen anrufen und ermitteln, ob bei ihnen grundsätzlich ein Bedarf für unsere Leistung besteht. Von ihnen sagen voraussichtlich circa 25: Ja. Mit diesen 25 potenziellen Kunden müssen wir bis Ende Mai persönliche Gespräche führen und ihnen individuelle Angebote unterbreiten. Dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass wir Ende Juni Aufträge von zehn Neukunden haben.

Sind der Weg zum Ziel »zehn Neukunden« und die Etappenziele, die es hierbei zu erreichen gilt, fixiert, kann daraus abgeleitet werden:

Erst danach darf sich Führungskraft Huber anderen Aufgaben zuwenden und Mitarbeiter Frantz eigenständig seinen Job erledigen lassen – jedoch nicht eigenverantwortlich, denn ihm fehlt noch die nötige Erfahrung.

Also muss Huber in den Folgewochen bei Frantz regelmäßig zum Beispiel nachfragen:

Antwortet Frantz »nein«, muss Huber sich mit ihm zusammensetzen und analysieren: Warum? Zeigt sich dann zum Beispiel, die Vorzimmerdamen stellen Frantz selten durch, lautet die Frage erneut: Warum? Vielleicht sind seine Telefonate falsch aufgebaut? Vielleicht hat Frantz aber auch mentale Barrieren fremde Menschen anzurufen und lässt sich schnell abwimmeln? Abhängig vom Ergebnis kann dann die nötige Unterstützung für Frantz organisiert werden.

Den Mitarbeiter auf dem Weg zum Ziel begleiten

Entsprechendes gilt, wenn Frantz sagt: »Ich komme zwar zu den Entscheidern durch. Es interessieren sich aber weniger als 25 Prozent für unsere Leistung«. Dann muss Huber mit Frantz ermitteln, wie das Etappenziel, 25 Interessenten bis Ende April zu identifizieren, doch noch erreicht werden kann. Vielleicht indem sich Frantz beim Telefonieren auf bestimmte Branchen konzentriert? Oder indem er schlicht 150 statt der geplanten 100 Unternehmen anruft?

Durch ein solches Vorgehen kann die Führungskraft sicherstellen, dass ihr Mitarbeiter die Etappenziele und letztlich auch das Endziel »zehn Abschlüsse« erreicht. Doch nicht nur dies. Sie sorgt auch dafür, dass beim Mitarbeiter die gewünschten Lernprozesse stattfinden und bei ihm die Erfahrung entsteht, die er künftig zum eigenständigen Lösen ähnlicher Aufgaben braucht. Denn durch das gemeinsame Analysieren, warum gewisse Vorgehensweisen (nicht) funktionieren, gewinnt der Mitarbeiter auch Erfahrung damit, geeignete Lösungswege zu entwerfen. Diese kann er auf andere Aufgaben übertragen.

Führungskräfte coachen, doch sie sind keine Coaches

Ein solches systematisches Unterstützen der Mitarbeiter durch ihre Führungskräfte wird in der modernen, von Veränderung geprägten Arbeitswelt immer wichtiger, denn in ihr stehen die Mitarbeiter immer häufiger vor für sie neuen Herausforderungen. Deshalb müssen ihre Führungskräfte beim Wahrnehmen ihrer Führungsaufgabe auch häufiger in die Rolle eines Coaches schlüpfen. Dies ist jedoch nur eine Führungs-Rolle unter vielen – denn Führungskräfte sind im Gegensatz zu echten Coaches stets auch die disziplinarischen Vorgesetzten ihrer Mitarbeiter. Das setzt ihrer Coaching-Funktion enge Grenzen.

 


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{tab Über die Autorin}

Sabine Prohaska2

 
Sabine Prohaska ist Inhaberin des Trainings- und Beratungsunternehmens seminar consult prohaska, Wien, das unter anderem Coaches ausbildet.
 
Der Wirtschaftspsychologe und Lehrcoach ist Autor mehrerer Personal-Fachbücher.
 
 
 
 
 
In unserer Reihe »Standpunkte« bieten wir von Zeit zu Zeit engagierten Akteuren aus den Bereichen Weiterbildung, Personalentwicklung und Wissensmanagement die Möglichkeit, sich mit einem aktuellen Thema an unsere Leser zu wenden. Unabhängig vom jeweiligen Inhalt weisen wir darauf hin, dass diese Artikel ausschließlich die Meinung des jeweiligen Autors wiedergeben und nicht zwangsläufig mit der Auffassung der Redaktion in Einklang zu bringen sind.

 

 

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